Praxis

Über Gott reden – was tun wir da?

Im Zentrum der christlichen Botschaft steht die Aussage der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Das war zu allen Zeiten eine sehr ungewöhnliche, ja fremde Botschaft. Wie sollte es möglich sein, dass Gott selbst Mensch wird? In früheren Zeiten wurden die Eigenschaften Gottes mit den Eigenschaften des Menschen verglichen und es schien vollkommen unverständlich, wie in Christus Gott ganz und gar Mensch geworden ist.

Die christliche Botschaft war also immer schon eine fremde Botschaft, und sie ist es auch heute. Allerdings hat sich der Akzent der Fremdheit deutlich verschoben: Heute setzt die Fremdheit schon bei Gott selbst an. Und das hat dramatische Folgen für die Rede von Gott: Wen oder was adressieren wir, wenn wir von Gott reden?

Die christliche Botschaft war also immer schon eine fremde Botschaft, und sie ist es auch heute.

Diese Akzentverschiebung ist auch Folge der weltanschaulichen Neuorientierungen in der Moderne. Zu ihnen haben die Naturwissenschaften einen erheblichen Beitrag geleistet. Die Naturwissenschaften, allen voran die Physik, stellen das Universum in einer Weise dar, die vollkommen inkompatibel ist mit traditionellen Vorstellungen von Gott.

Schwächen also die Naturwissenschaften die christliche Rede von Gott? Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten, die Entwicklung hat auch eine entschieden gute Seite. Denn offenkundig führten bestimmte traditionelle Gottesvorstellungen der Vergangenheit in die Irre und sind auch aus theologischen Gründen abzulehnen. Deistische und auch manche theistische Vorstellungen von einem allmächtigen, im Himmel thronenden Gott etwa wurden so zurecht massiv in Frage gestellt. Die Rede von der Menschwerdung Gottes ist eine entscheidende kritische Spitze gegen alle Gottesvorstellungen, die einen distanzierten, über allem schwebenden und allmächtigen Gott suggerieren. In der christlichen Tradition hat sich allerdings dieses Bild immer wieder neu eingeschlichen. Wahrscheinlich waren es nicht zuletzt auch gesellschaftliche und kulturelle Gründe, die ein solches Gottesbild unterstützten. Denn Gott wurde so zum Garanten der weltlichen Ordnung, die in der Vergangenheit vor allem eine hierarchische Ordnung war. Die Schöpfungserzählung wird dabei zum Kernelement christlicher Weltanschauung. Die Theologie kann in dieser Hinsicht den Naturwissenschaften dankbar sein, dass sie die alten Vorstellungen eines Herrschers der Himmel in Frage gestellt haben. Irrwege in den Versuchen, zu verstehen, wer Gott ist, sind aber für eine biblisch orientierte Theologie nichts Neues. Denn schon die biblischen Texte haben in immer neuer Form zum Teil fundamentale Kritik an menschlichen, ja allzu menschlichen Vorstellungen von Gott geübt.

Die biblischen Texte haben in immer neuer Form zum Teil fundamentale Kritik an menschlichen, ja allzu menschlichen Vorstellungen von Gott geübt.

Doch leider beschränkt sich die kritische Anfrage eines Weltbildes, das sich an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, nicht auf ein auch theologisch zu kritisierendes deistisches Gottesbild. Tatsächlich wird die Rede von Gott als solche vor dem Hintergrund einer „modernen“ Weltsicht fragwürdig. Das aber hat mit einem weitergehenden Missverständnis zu tun, das aber nicht aus traditionellen Gottesvorstellungen resultiert, sondern aus der modernen Sicht auf die Welt.

Hiernach ist alles, was relevant ist, mit einer naturwissenschaftlichen Sprache beschreibbar. Physikalische, biologische und chemische Entitäten lassen sich genau bestimmen, auch wenn wie in der Quantenphysik Ort und Zeit eines Teilchens vielleicht nicht eindeutig zuzuordnen ist. Aber natürlich ist jedes Teilchen in der physikalischen Sprache etwa mit der Schrödingergleichung genau bestimmbar. Gibt es aber nicht zumindest menschliche Phänomene, die nicht eindeutig naturwissenschaftlich beschreibbar sind wie etwa Gedanken oder Gefühle? Aber auch sie haben neurowissenschaftliche Korrelate. Was auch immer Gedanken, Gefühle, Bewusstsein sein mögen, sie lassen sich mit bestimmten neuronalen Aktivitäten des Gehirns eindeutig in Beziehung setzen. Doch das, was wir christlich mit den vier Buchstaben GOTT bezeichnen, entzieht sich vollständig jeder naturwissenschaftlichen Beschreibbarkeit. Ist es, kann es dann noch für eine moderne Beschreibung der Welt relevant sein?

Das, was wir christlich mit den vier Buchstaben GOTT bezeichnen, entzieht sich vollständig jeder naturwissenschaftlichen Beschreibbarkeit

Der etablierte Dialog zwischen Naturwissenschaften und Theologie versucht sich diesem Problem zu stellen. Doch welcher Sprache soll man sich bedienen, wenn es kaum eine gemeinsame Basis zwischen theologischer Rede von Gott und den naturwissenschaftlichen Beschreibungen der Welt gibt? Zumeist bearbeiten die Beteiligten des Dialogs einen dritten Bereich, der sich zwischen der Theologie und den Naturwissenschaften befindet, der Naturphilosophie. Insofern sich die Philosophie Grundfragen des Erkennens und der Wirklichkeit stellt, ist sie der Theologie nah, insofern sie aber zugleich auch über Möglichkeiten und Grenzen der Naturwissenschaften nachdenken, ist sie den Naturwissenschaften nah. Damit ist die Naturphilosophie eine Grundlage des Dialogs. Kann sie zu einer besseren Bestimmung dessen führen, was wir mit dem Wort „Gott“ beschreiben? Leider gibt es nun aber in der Naturphilosophie sehr unterschiedliche, sich zum Teil gegenseitig ausschließende Ansätze. Die letzten Jahrzehnte des Dialogs haben keinen gemeinsamen Standard entwickeln können, so ist auch eine Übereinkunft über die Frage, worauf sich GOTT bezieht, in weiter Ferne.

Diese Schwierigkeit führt angesichts des verbreiteten modernen Weltbildes zu sehr asymmetrischen Folgen. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften sind vor diesem Hintergrund leicht akzeptiert, sofern denn Standards der selbstkritischen Erkenntnis akzeptiert werden und nicht Verschwörungstheorien um sich greifen. Die Aussagen der Theologie werden dagegen vor diesem Hintergrund immer weniger verständlich.

Das Ziel einer allgemein verbindlichen Rede von Gott ähnlich den allgemein verbindlichen Beschreibungen der Welt durch die Naturwissenschaften wird nicht zu erreichen sein.

Wie soll darauf die Theologie reagieren? Sollte sie sich auf die Suche nach einem Gottesbild machen, das mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen kompatibel ist? Viele Ansätze des Dialogs zwischen Naturwissenschaften und Theologie versuchen das. Aber das Ziel einer allgemein verbindlichen Rede von Gott ähnlich den allgemein verbindlichen Beschreibungen der Welt durch die Naturwissenschaften wird nicht zu erreichen sein. Das hat sehr tiefliegende Gründe, die wieder zu der zu Beginn festgestellten Fremdheit der Rede von Gott zurückführen. Jeder Ansatz einer Rede von Gott entkommt nicht dem Dilemma, dass wir von Gott reden sollen, aber als Menschen nicht von Gott reden können. Das gilt unabhängig von den jeweils herrschenden Weltbildern. Dieses Dilemma bestand schon in biblischen Zeiten und es besteht heute. Der protestantische Theologe Karl Barth folgerte aus dem Dilemma, dass wir in diesem Dilemma zwischen „Sollen“ und „Nicht-Können“ Gott die Ehre geben sollen.

Ich meine, dass es vielleicht die vornehmste Aufgabe der Theologie ist, die Frage nach Gott offen zu halten.

Wir geben, mit anderen Worten, Gott gerade darin die Ehre, dass wir immer wieder daran scheitern, allgemein verbindliche Standards im Dialog zwischen Naturwissenschaften und Theologie aufzustellen. Ich meine, dass es vielleicht die vornehmste Aufgabe der Theologie ist, die Frage nach Gott offen zu halten. In dieser Hinsicht sind allgemein gültige Antworten eher eine Gefahr als eine Errungenschaft.

Also bleibt eine negative Theologie, eine Aussparung der Beschreibung Gottes? Das ist nicht der Fall, weil die Gotteserfahrungen solche sind, die Menschen über alles sprachlich Verfasste hinaus persönlich berühren, die sich auch zwischen Menschen ereignen. Die Rede von Gott kann die persönliche Beteiligung nicht außen vor lassen. Persönliche Erfahrungen mit Gott dringen auf Mitteilung, sie wollen sozial geteilt werden. Sie dringen auf einen sprachlichen Ausdruck. Christinnen und Christen sind dankbar, dass es eine reiche Sprache und Bilderwelt gibt, die biblische Texte und christliche Traditionen bereitstellen, um einen angemessenen Ausdruck zu finden. Gott die Ehre geben, heißt nicht, von der Mühe, die Erfahrungen mit Gott zu versprachlichen, abzulassen. Wir sollten uns stets um größtmögliche Allgemeingültigkeit und Verständlichkeit bemühen. Aber zugleich sollten wir sehen, dass wir nicht zum Ziel kommen und gerade darin Gott als den immer Größeren bezeugen.

Persönliche Erfahrungen mit Gott dringen auf Mitteilung, sie wollen sozial geteilt werden.

Um den angemessenen Ausdruck kann und muss manchmal auch gestritten werden. Insofern ist nicht eine negative Theologie, die jede Bestimmung konsequent ausspart, die Antwort auf unsere Situation, sondern eine Rede von Gott, die immer und jederzeit von der Differenz zwischen den persönlichen Erfahrungen, den sozialen Kommunikationskontexten und einer allgemeingültigen sprachlichen Form weiß. Gerade dann, wenn wir diese Differenz nicht aufzulösen versuchen, sondern aufrechterhalten, geben wir darin Gott die Ehre: Wer auch immer Gott ist, er ist größer als alle unsere menschliche Vernunft.

Praxis

Toskana Fanboys

Ein paar Mandolinen gurren Akkorde. Ein Drumstick schnalzt, ein Piano perlt ein paar Töne wie aus einer gut gekühlten Flasche Pino Grigio. Basslauf wie ein brummliger Nonno auf der Suche nach einem Stück Schinken. Dann die Stimme von Peter Fox, der diesmal klingt, als habe er ein bisschen Schnupfen. Oder ist es nur eine Pollenallergie?

Pinien am Wegrand
Streif’ durchs gelbe Feld
Wie bei Gladiator
Hm, ‘n Helm auf wie’n Held
Von zu viel Vino
Cantuccini machen Kilos
Wir roll’n durch die Hügel (Yeah, yeah)
Im Lancia Sportivo.

Na klar. Ridley Scott. Gladiator. Das Traumbild vom Anfang des Films. Fünf Oscars hat der bekommen. Vielleicht auch wegen der wiegenden Ähren, die Russel Crowe mit seiner Hand streichelt, in Zeitlupe. Streif´ durchs gelbe Feld. Und die sich am Ende, nach drei Stunden Kino sich mit den letzten Bildern verschränken: Wieder das gelbgoldene butterwarme Feld, das den sterbenden Schwertkämpfer jetzt empfängt.

Zwei Sätze reichen, und du bist in Paradiso.

Seit Ende Mai gibt’s eine neue Platte von Peter Fox. Und er braucht in seinem Stück Toskana Fanboys gerade ein paar Sekunden, ein paar hingeworfene Töne, wenige Worte. Schon sitze ich neben ihm auf dem Rücksitz eines Sportwagens. Versuche beim Hören meinen Bauch einzuziehen. Denn seine Cantuccini-Kilos sind ja auch meine, maledetto. Schöne Idee auch, das mit dem Helm von zu viel Vino. Der wohlige gefährliche Sommermoment, in dem Alkohol den Kopf in einen großen Wattebausch verwandelt.

Häng’n am Pool auf Cypress Hill
Bella figura, Freibad-Skills
Hör’n Celentano und die Grill’n
Toskana-Fanboys chill’n.

Ich bin gar kein Pool-Typ. Wirklich nicht. Aber wie Peter Fox es hinbekommt, dass sogar ich mir vorstellen kann, einer zu sein, ist schon elektrisierend. So geb ich mir den „Toskana-Fanboy“. Adriano singt von Liebe (ja, genau, DER Adriano Celentano). Und wir canceln unsere Flüge. Zwei Sätze reichen, und du bist in Paradiso.

Saint-Tropez ist nice
Aber hat keine Vibes
Chamonix-Mont-Blanc, alright
Aber zu kalt
Malibu-Beach ist heiß
Aber zu weit, hm
Ich bin und bleib’
Toskana-Fanboy for life.

Vielleicht ist das unfair, was ich jetzt mache. Popkultur ist eben populär. Geschmeidiger Zettelkasten. Sich ewig drehendes Kaleidoskop von Vibes and Hypes. Doch ich erlaube mir es trotzdem. Neulich war ich Gast bei einer Tauffeier. Ich stand etwas ungünstig, dass ich gar nicht richtig sehen konnte, was passierte. Vor allem habe ich gelauscht, was der Priester gesagt und gebetet hat. Ich gebe zu, dass ich meinen Gedanken wohl allzu freien Lauf gelassen habe. Will sagen: Ich war nicht richtig dabei. Vielleicht ist mir eine Taufe mit ihren Ritualen einfach zu geläufig. Kein Feld für Überraschungen. Eine Taufe ist nice. Aber hat keine Vibes.

Zwecksprache halt. Gar nicht mal unangenehm. Aber routiniert. Allzu routiniert.

Vielleicht war es aber auch das sprechautomatige Sprechen des Priesters. Er klang ein bisschen so, wie ein Navigationsgerät spricht, dass sich aus tausenden hinterlegten Worten Sätze zusammenkombiniert. Zwecksprache halt. Gar nicht mal unangenehm. Aber routiniert. Allzu routiniert. Der allmächtige Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, hat dich von der Schuld Adams befreit und dir aus dem Wasser und dem Heiligen Geist neues Leben geschenkt, monotonte der Priester. Zum ersten Mal ist mir aufgefallen, dass er in diesem Augenblick und mit diesen Worten ja ein kleines Kind angesprochen hat. Dio mio. Und als dessen Vertreterinnen und Vertreter Patin und Pate. Die Eltern. Die anderen Umherstehenden. In mir drängte sich ein Gedanke auf. Ich wollte Stopp! rufen. Und: Habt ihr gehört, was der Mann gesagt hat? Um nicht zu sagen: Habt ihr das verstanden? Ich habe Fragen: Was ist die Schuld Adams? Wer ist Adam überhaupt? Warum ist das Kind schuldig? Wie kann das überhaupt sein? Was hat das Kind mit diesem Adam zu tun? Wer ist dieser Heilige Geist? Und vor allem: Wieso neues Leben? Ist das alte etwa nicht gut genug?

Aus dem unverständlichen Latein der frühen und ganz frühen Jahre ist die unverständliche Routine der Gegenwart geworden.

Vielleicht war ich auch nur der einzige, dem diese Fragen in den Kopf gestiegen sind. Vielleicht ist die Erwartung von Menschen, die zum Beispiel an einer Taufliturgie teilnehmen, ja gar nicht mehr die, zusammen mit einem Kind durch die Hügel zu roll´n, natürlich in einem Lancia Sportiva, sprich: mitgenommen zu werden. Kein kehliger Adriano Celentano, nirgends. Kein Peter Fox mit Schnupfen. Aber vielleicht vermissen sie das auch nicht mehr, weil sie gar nicht (mehr) damit rechnen. Ist doch gut, wenn einer das Navigationsgerät durch die eigenartige skurrile Welt des Katholischen gibt. Andersherum: Aus dem unverständlichen Latein der frühen und ganz frühen Jahre ist die unverständliche Routine der Gegenwart geworden. Früher und ganz früher hatte niemand die Absicht, verständlich zu sein. Heute scheint niemand mehr die Absicht zu haben, sich verständlich zu machen. Das Latein der frühen Jahre klang wenigstens noch unheimlich fremd und zugleich heimlich bedeutungsvoll. Die Sprechautomaten von heute klingen einfach oft nur noch bedeutungsschwanger. Routiniert eben. Und das ist etwas anderes. Und halten in ihrer Routine den garstigen Graben auf, den die „Volkssprache“ doch zuschütten wollte: Dass Sprechakte, zumal in der Liturgie doch die Menschen, die Schöpfung in die Gemeinschaft mit Gott hineinholen will.

Dass ich selbst und die Umstehenden Teil von einer aufregenden, anregenden, erlösenden, aufrichtenden, leidenschaftlichen, tröstlichen Geschichte werden.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ich habe da keine Patentlösung. Erstmal bin ich nur traurig darüber, dass die Populärkultur (oft, auch nicht immer) schafft, was dem religiösen, liturgischen Sprechen allzu oft nicht gelingt: Dass ich selbst und die Umstehenden Teil von einer aufregenden, anregenden, erlösenden, aufrichtenden, leidenschaftlichen, tröstlichen Geschichte werden.

Ich seh im Internet ein Filmchen. Aus der Kabine des 1. FC Köln. Jonas Hector erzählt seinen Mitspielern, dass er zum Saisonende aufhört. Er steht. Die anderen sitzen. Der Lehrer. Mit seinen Schülern. Ich hör auf mit dem Fußballspielen im professionellen Bereich. Das ist jetzt schwer. Sein Abschied ist für Köln ungefähr so bedeutsam wie das Ende der Beatles für die ganze Welt. Naja, das mag man jetzt außerhalb von Köln übertrieben finden. Aber die Populärkultur lebt ja von der Übertreibung und der (großen) Geste. Nach der Ansprache bilden die Mitspieler einen Kreis. Ihre Arme haben sie einander auf die Schultern gelegt. Aus einer Bluetoothbox oder einem Handy krabbeln die Töne von Tommi, das ist ein Song der Kölner Band Annenmaykantereit:

Tommi, ich glaub’, ich hab’ Heimweh
Vielleicht liegt es am Licht und wie’s sich grade bricht
Oder daran, dass man hier in der Bahn die Spree sehen kann

 

Tommi, vielleicht ruf’ ich an
Damit du sagst: „Irgendwann, irgendwann, irgendwann
Fangen wir hier zum letzten Mal von vorne an“

Da, wo mer zosamme jroß jeworde sin, do
Ziehen mer alle irgendwann wieder hin
Damit die Kinder, die mer krieje könn
Alle in Kölle jebore sin
Da, wo mer zosamme jroß jeworde sin, do
Ziehen mer alle irgendwann wieder hin
Damit die Kinder, die mer krieje könn
Alle in Kölle jebore sin
Jebore sin
Jebore sin.

Hey, wieso habe ich beim Zusehen auf einmal das Gefühl, ich bin Teil einer Art von Andacht? Da brennen keine Kerzen in der Kabine. Und die Männer stehen auch nicht um einen Altar herum, sondern um eine Batterie Mineralwasserflaschen. Berührend, wie sie zosamme jro-ho-ho-hoß jeworde sin singen. Ein bisschen klingt das wie Großer Gott, wir lo-ho-ben dich. Ob Ellyes Skhiri und Linton Maina verstehen, was sie da singen? Kölsch ist ja so etwas wie das Latein des kleinen Mannes.

Hey, wieso habe ich auf einmal das Gefühl, ich bin Teil einer Art von Andacht? Ein Moment eschatologischer Hoffnung in der Kabine des 1. FC Köln. Ist das übertrieben?

Die Szene hat etwas Konzentriertes, Verbindendes, etwas von einem kurzen Moment, in dem Gegenwärtiges überstiegen wird. In den Abschied eines Mitspielers mischen sich Hoffnung und Zuversicht, dass dessen Abschied nicht für immer ist. Und damit kein Abschied auf dieser Welt. Keiner. Sehnsucht von Verbindung über alle menschenmöglichen Grenzen hinweg. Mir fällt ein Text aus der Offenbarung des Johannes ein: Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein. Und er, Gott, wird bei ihnen sein (Offb 21,3f.) Ein Moment eschatologischer Hoffnung in der Kabine des 1. FC Köln. Ist das übertrieben?

Ich finde nicht. Natürlich ist die Situation von hochbezahlten Profifußballern nicht zu vergleichen mit Jesusnachfolgerinnen und -nachfolgern, die Minderheit sind in einer Umwelt, die für sie lebensbedrohlich ist und in der sie die Worte für den Text der Offenbarung finden. Und doch treffen sich beide Gruppen, die Fußballspieler und die Jesusnachfolgerinnen und -nachfolger in ihrem Hoffen und Sehnen. Beides, der Text aus der Offenbarung und das Ritual der Fußballer sind meines Erachtens Beispiele für nicht-routiniertes Sprechen.

Und das Gegenteil von Routine ist nun mal das Abenteuer.

Das erlebst du auf dem Rücksitz eines Lancias an einem somnambulen Tag. Nicht so oft in der Kirche. Ein schöner Dom, alright. Aber leider zu kalt. Dabei gäbe eine Taufe nun wirklich genug Stoff für ein Abenteuer her: Liebe. Leidenschaft. Schwangerschaft. Bangen. Hoffen. Sorgen. Wehen. Schmerzen. Schreien. Angst. Tränen. Glück. Aus zwei mach drei. Damit die Kinder, die mer krieje könn alle in Kölle jebore sin.

Ich habe neulich in den Schulgottesdienst die Geschichte vom guten Hirten mitgebracht. Problem: In Köln gibt es keine Hirten. Hirtinnen auch nicht. Bei uns im Agnesviertel schon mal gar nicht. Schafe auch nicht. Um Ostern rum, okay, unten am Rhein. Aber sonst? (Okay, Shaun, das Schaf. Das gibt’s. Aber in diesen Geschichten frage ich mich immer, ob nicht das Schaf der Hirte des Bauern ist.) Das Schaf hört auf die Stimme des Hirten, weil es die Stimme kennt. Kein Stadtkind hat dieses Abenteuer aus eigener Anschauung schon mal erlebt.

Ich habe meinen Hund Greta in den Schulgottesdienst mitgenommen. Und habe mich mit dem Hund auf die Altarstufen gesetzt. Und dann habe ich die Kinder gefragt: Wer von euch lebt mit Tieren? Die Finger flogen nach oben. Die Kinder haben die Tiere aufgezählt: Katzen, Kaninchen, Hamster. Und natürlich ein paar Hunde. Magst du von deinem Hund erzählen? Kopfnicken. Fünf Kinder haben sich neben mich gesetzt. Erzähle von deinem Hund. Wie heißt er? Was machst du, damit er sich bei dir wohl fühlt? Viele kluge Abenteuergeschichten. Ich gehe mit ihm spazieren. – Ich spiele mit ihm. – Ich bringe ihm Sachen bei. – Welche Sachen? – Zum Beispiel, dass er kommt, wenn ich ihn rufe. Dass er sich hinsetzt. – Warum machst du das? – Es ist wichtig, dass er mir vertraut. Wow.

Sollten wir nicht viel häufiger versuchen, abenteuerlicher zu erzählen? Zu inszenieren?

Ich habe Greta zur anderen Seite der Kirche gebracht. Die Kinder haben sich zu ihr umgedreht. Greta hat sich hingesetzt. Ich bin wieder zurück gegangen. Dann habe ich Greta gerufen. – Greta! Hier! Und da ist sie angewetzt gekommen. Die letzten Meter ist sie über den Boden gerutscht. Wie eine kleine Eiskunstläuferin. Ich bin der gute Hirt. Ich bin die gute Hirtin. Hier und heute, mitten in der Stadt, jeden Tag. Wir bekommen einen Hund aus dem Tierschutz, flüstert mir ein Mädchen zu. Aus Rumänien.

Sollten wir in der Liturgie, in der Verkündigung, überhaupt im seelsorgerischen Kontext nicht häufiger aus Routinen ausbrechen? Sollten wir nicht viel häufiger versuchen, abenteuerlicher zu erzählen? Zu inszenieren? Damit meine ich nicht immer das große Brett. Als Kind habe ich Aschermittwoch nie verstanden. Der Priester meiner Heimatpfarrei, zugegeben ein schon älterer Herr, hat beim Austeilen des Aschenkreuzes immer gesagt: Gedenke Msch dssd Staubist und zum Staub rückkehrst. Er neigte halt dazu, Wörter zu verschlucken. Nach ein paar Jahren hatte ich den Satz endlich komplett verstanden. Wenigstens akustisch. Aber wieso sollte ich Staub sein? Hä? Den Staub gabs doch unter der Kommode. Und warum um Himmels willen sollte ich unter die Kommode kriechen? Was für eine absurde Geschichte.

Glaub mir, die Liebe gewinnt.

Seit einiger Zeit sage ich beim Austeilen des Aschenkreuzes: Dreh dich um und vertrau auf die gute Botschaft: Dass die Liebe gewinnt. Ist für mich eine sprechendere Alternative zu Kehr um und glaube an das Evangelium. Was spricht dagegen, einen Kernaspekt des Evangeliums auszusprechen? Zumal dieser Kern (die Liebe gewinnt) als Echo aus den verflossenen Karnevalstagen am Aschermittwoch noch in den Herzen der Menschen nachklingt – wenigstens hier in Köln. Denn eins der spirituellsten Lieder im Kölner Karneval ist ja von der Band Brings:

Wir werden frei sein, wenn wir uns lieben
Es wird vorbei sein mit all den Kriegen.
Wir sind Brüder, wir sind Schwestern, ganz egal, wo wir sind.
Glaub mir, die Liebe gewinnt.

Ist vielleicht nicht so würdevoll wie Der allmächtige Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, hat dich von der Schuld Adams befreit und dir aus dem Wasser und dem Heiligen Geist neues Leben geschenkt.

Meint aber dasselbe. Und klingt nicht wie ein VW Golf mit Hutablage. Sondern sagen wir immerhin wie ein Ford Mustang. Vielleicht sogar auf dem Weg. In die Toskana.

Praxis

Wie mit und über Gott reden?

Wie darf man Gott anreden? Hat es eine Bedeutung, dass Gott im Deutschen – und den meisten anderen Sprachen – männlich gegendert wird? Ist es eine Übertretung Gott gegenüber, das Pronomen zu wechseln? Die Frage ist keine rhetorische, denn Gott weiblich anzureden – Gott-die-Ewige, Gott-die-Lebendige, Gott, die du in allem mächtig bleibst – ist vielfach noch so ungewohnt, dass Menschen tatsächlich Skrupel haben, ob sie damit Gott gegenüber nicht eine Sünde begehen.

Eine Unterart dieser Skrupel ist die Furcht, mit einem weiblichen Pronomen Gott als eine Gottheit unter mehreren anzureden, Gott nicht in Gottes Unbegrenztheit anzuerkennen, sondern nur einen partikularen Teil von Gott anzusprechen. Diese Befürchtung hat ihre Wurzel im allgemeinen Sprachgebrauch und Alltagsbewusstsein – beide stehen miteinander in Wechselwirkung –, in dem immer noch das Männliche für das Allgemeine, Umfassende und das Weibliche für das Besondere gebraucht werden: Vom Menschen gesprochen zu haben, heißt automatisch, vom Mann gesprochen zu haben. Von Frauen müsste man nochmals gesondert reden – diese Denkfigur steht auch hinter der päpstlichen Forderung, es müsse eine „Theologie der Frau“ entwickelt werden. Oder: Medikamente für Männer entwickelt zu haben, heißt Medikamente für den Menschen entwickelt zu haben. Dass weibliche Körper Medikamente anders verstoffwechseln und zum Beispiel viele Schmerzmittel daher weniger oder gar nicht wirken, das ist dann der ausgeklammerte Sonderfall. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Anfrage einordnen, ob Gott weiblich gegendert nicht zu einer Partikulargottheit herabgestuft würde. Im Allgemeinen wird es weniger kritisch betrachtet, von einer „weiblichen Seite“ Gottes zu sprechen – womit man dann aber wiederum eine Binarität und damit eine Idee von Über-und Unterordnung in Gott einträgt und zudem die Illusion nährt,  man könne diese Seite ohne Verluste auch wieder weglassen. Zudem stärkt diese Vorstellung einengende Genderrollen, weil dann alles Weiche und Zärtliche in Gott als weiblich gelabelt wird und alles Strenge und Machtvolle männlich – als ob eine Mutter für ein sehr kleines Kind nicht eine geheimnisvolle und höchst mächtige Wirklichkeit wäre, der man im Zorn nicht in die Quere kommen will.

Gott weiblich zu gendern, macht allein durch die damit ausgelöste Irritation deutlich, wie tief die männliche Prägung der Gottesvorstellung ist.

Gott weiblich zu gendern, macht allein durch die damit ausgelöste Irritation deutlich, wie tief die männliche Prägung der Gottesvorstellung ist. Denn die Argumentation, dass Gott übergeschlechtlich sei und darum in der Anrede nicht gegendert werden müsse oder gar dürfe, wird in aller Regel nur von der Irritation der weiblichen Anrede ausgelöst, während männliche Anreden – die ja Gott auch gendern, nur eben männlich – diese Gegenwehr nicht provozieren. Nun lässt sich natürlich aufweisen, dass die Eigenheiten deutscher Grammatik die göttliche Wirklichkeit, die hinter dieser unfassbar großen Schöpfung steht, nicht tangieren. Dennoch gibt es diese abwehrende Reaktion, die die Irritation zu rationalisieren versucht, indem sie darauf hinweist, dass Gott nicht zu gendern sei, weil Gott übergeschlechtlich sei. Beim Hinweis, dass alle Anreden nur Bilder für Gott sind, kommt dann gelegentlich das biblische Bilderverbot zur Sprache. Dieser Einwand trifft aber in mehrfacher Hinsicht nicht den Kern, denn die Bibel ist voll mit Sprachbildern für Gott. Ihre Autor*innen wenden sich nur gegen Bilder, die mit Gott verwechselt werden können, oder in einer jüdisch-feministischen Lesart des ersten Gebots, dagegen, sich nur ein Bild von Gott zu machen und nicht mehrere, diverse. Dabei lässt die Vehemenz, mit der Christ*innen das Vater-Bild für Gott als Gottes Wirklichkeit verteidigen, bisweilen doch fragen, ob hier nicht ein Bild von Gott mit Gottes Wirklichkeit verwechselt wird.

Die Vehemenz, mit der Christ*innen das Vater-Bild für Gott als Gottes Wirklichkeit verteidigen, lässt bisweilen doch fragen, ob hier nicht ein Bild von Gott mit Gottes Wirklichkeit verwechselt wird.

Hier kann wiederum das vierte Laterankonzil (1213-1215) weiterhelfen. Es hat die Debatte um die Reichweite der universitären Theologie in interessanter Weise geklärt und damit eine philosophische Variante des biblischen Bilderverbots formuliert: Jedes Bild von Gott ist Gott immer unähnlicher als ähnlich. Also: Jedes Bild von Gott, das sich aus Schrift und Tradition speist, trifft einen Teil von Gottes Wirklichkeit. Der je größere Teil von Gott wird mit diesem Bild nicht erfasst. Gott macht Menschen also ein Beziehungsangebot wie ein Vater. Aber der größere Teil von Gott ist ganz anders als Vater. Dass ich hier mit Quantifizierungen arbeite, zeigt, wie schwierig es ist, sprachlich mit der Unanschaulichkeit Gottes umzugehen, denn natürlich geht es nicht um größere und kleinere Teile von Gott, die alles Denkbare übersteigt, sondern um Gottes Sein, das nicht quantifizierbar ist, sich aber auch allen anderen Möglichkeiten menschlicher Veranschaulichung entzieht.

Jedes Bild von Gott ist Gott immer unähnlicher als ähnlich.

Die Relativierung jedes Bildes von Gott bedeutet umgekehrt: Je weniger Bilder es für Gott in einer Religion gibt, desto mehr verpasst man von Gott. Wenn jedes Bild nur ein Mosaikstück von Gottes Wirklichkeit ist, dann wäre eine Vielzahl an Bildern enorm wünschenswert – und das würde gleichzeitig das Bewusstsein dafür wachhalten, dass es nur Bilder sind – nicht weniger, nicht mehr.

Ich halte es für einen lohnenden Ansatz, einmal zwei Beobachtungen zusammenzufügen: Die Gottesrede in den großen Kirchen in Deutschland ist relativ monoton geworden, sie kommt mit sehr wenigen und nahezu ausschließlich männlichen Bildern aus, lediglich der Geist Gottes schafft es in einigen Varianten, als weibliche Geistkraft wahrgenommen zu werden. Und: Die Gottesrede der großen Kirchen in Deutschland ist für die meisten Menschen nicht mehr relevant. Sie ist lebensfern, steril, autoritär, ohne sich Autorität verdient zu haben, und oft genug einfach langweilig.

Je weniger Bilder es für Gott in einer Religion gibt, desto mehr verpasst man von Gott.

Mir scheint, das hat damit zu tun, dass beim Sprechen über und mit Gott der Akzent auf dem Richtigen, Belegbaren, Sicheren liegt, also beim Behaupten und Argumentieren. Dann spricht man nicht in vielfältigen Bildern von Gott, sondern sauber und geordnet, und natürlich gendert man dabei männlich, weil das in unserem Sprachgebrauch eben die Form für das Allgemeingültige ist.

Ich möchte nun nicht das Klischee bedienen, dass das Emotionale, Gefühlsbetonte eine Domäne des Weiblichen sei. Mir scheint das auf alle Geschlechter hin zu einengend zu sein. Aber an der männlichen Sprachdominanz lässt sich zumindest ein Fehlen ausmachen: Wenn Gebetssprache vor allem richtig und korrekt sein will und sich auf der Ebene der philosophischen Argumentation bewegt, dann kommen wichtige Momente des Menschseins in dieser Gebetssprache nicht zum Zug: Beim Beten werden Selbstkonzept und Selbstgefühl berührt, hier spielt das Empfinden genauso eine Rolle wie das Unbewusste. Und für diese Ebenen ist Gender ein wesentlicher Begriff, weil die Geschlechtsidentität eines Menschen einen großen Teil seiner Prägung ausmacht, weil hier wesentliche Auseinandersetzungen mit kulturellen Vorgaben stattfinden. Darum ist es so überraschend herzöffnend, wenn Gott einmal weiblich gegendert wird, und fühlen sich Menschen davon in ganz unerwarteter Weise berührt und gemeint.

Es ist so überraschend herzöffnend, wenn Gott einmal weiblich gegendert wird. Menschen fühlen sich  davon in ganz unerwarteter Weise berührt und gemeint.

Denn von Gott zu sprechen, heißt natürlich auch, vom Menschen zu sprechen. Und wenn man der Schwerkraft der männlichen Sprachformen in Bezug auf Gott folgt, dann hat das Auswirkungen auf alle nicht-männlichen Beter*innen. Sie sind dann die mitgemeinten Auch-Menschen, nie so gottgleich und gottfähig wie Männer, sie müssen sich über Umwege identifizieren und ihr Eigenes erst als von Gott gewollt und geliebt verstehen lernen.

Eine weibliche oder Geschlechtergrenzen ganz überschreitende Gottesrede würde die Chance eröffnen, beim Beten mehr zu tun als etwas Richtiges zu sagen. Es würde nicht nur die Gottesvorstellungen weiten und diskriminierte menschliche Geschlechtsidentitäten aus der Diskriminierung holen, weil es Menschen, die nicht männlich sind, einen unmittelbareren Zugang zum Göttlichen erschließen würde, den Männer mit männlicher Gottesrede schon sehr lange sehr selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen und für normal halten. Sondern es würde auch die Ebene des Spielerischen und Vorläufigen, der Ahnungen und der Träume mit einbeziehen. Es würde so Menschen auf einer anderen Ebene als der des rationalen Verstehens ansprechen und mitnehmen, und zugleich eine Form der Patriarchats- und Herrschaftskritik wieder bestärken, die verloren zu haben den Kirchen in Deutschland nun sehr zu Schaden kommt, weil ihr damit auch ihr utopisches Potential abhanden gekommen ist.

Die Chance, beim Beten mehr zu tun als etwas Richtiges zu sagen.

Natürlich hat Gott kein Geschlecht. Aber Geschlecht ist für Menschen eine bedeutende Wirklichkeit und Genderoffenheit in Bezug auf Gott ändert mehr als die grammatikalische Gestalt eines Gebetstextes. Es stellt patriarchale Deutungsmonopole infrage und holt die Gottesrede aus der Sackgasse des richtigen, aber eben auch so erwartbaren Sprechens hinaus. Letztlich sind weibliche Gottesanreden – Gott Freundin, Gott Schwester, Gott Retterin – gar nicht so spektakulär. Dennoch passiert eine Menge, wenn sie geläufiger werden.  Die Bewegung wahrzunehmen, die sie auslösen, ist etwas sehr Berührendes und es gibt eine Ahnung davon, zu welcher Freiheit und Weite ein Gottesglaube jenseits der Herrschaftslegitimation führen kann.

Praxis

Der Gott, an den ich glaube, ist meine Konstruktion und deswegen wahr

Die alten Botschaften greifen nicht mehr

Die alten Botschaften greifen nicht mehr. Das habe ich in den letzten Jahren an mir selber erfahren und vollzogen. Bildungskatholisch aufgewachsen, klassisch theologisch ausgebildet und diözesankirchlich geformt habe ich den Glauben an ein „Du“ Gottes übernommen. Die kraftvolle Rede von einem zugewandten, mitgehenden, liebenden Gott hat mich Teil einer Bewegung in Kirche und Gesellschaft und einem politischen und pädagogischen Programm sein lassen: Menschen das wert- und würdevolle Person-Sein von sich selbst und anderen zu verkünden, weil ein personal erreichbares „Du“ Gottes vor uns gestellt ist.

Mir ist ein Glaube an einen Gott, den es gibt, wie wir es sagen, und der wirkt, weil wir es meinen, abhanden gekommen.

Ich halte auch heute Menschenwürde, Solidarität, Gemeinwohl und Gerechtigkeit als Leitprinzipien hoch und setze mich als politisch denkender und sozial agierender Mensch dafür und gegen das Gegenteilige ein. Aber: Was hat Gott damit zu tun?

Mir ist ein Glaube an einen Gott, den es gibt, wie wir es sagen, und der wirkt, weil wir es meinen, abhanden gekommen. Ich bezeichne das nicht als Verlust. Und weder bin ich zu einem „negativen“ Theologen – der von Gott nur sagt, was Gott nicht ist – noch zu einem Atheisten geworden. Ich sage aber: Gott ist mehr meine Verantwortung als seine. Die praktische Folge ist, dass ich nicht mehr zu einem „barmherzigen Gott“ oder einem Gott „die uns trägt und begleitet“ beten kann. Formulierungen wie „Gott, die:der du in allen Zeiten warst“ lösen in mir Fremdeln aus und Fürbitten wie „Gott, stehe allen xyz bei“ Fluchtreflexe. Es sind dies Formulierungen aus Gottesdiensten, die ich selber einmal gestaltet habe. Heute würde ich sagen: „Lasst uns aufhören, von Gott zu reden als etwas Gegenständliches oder Wesenhaftes oder Ereignishaftes.“ Das Sein Gottes ist weder objektiv, spekulativ noch induktiv und die theologische Rede von der Personalität Gottes sagt mehr über mich, meine Bedürfnisse und Wünsche, in meinem Selbst-Verständnis als Person.

Das Sein Gottes ist weder objektiv, spekulativ noch induktiv und die theologische Rede von der Personalität Gottes sagt mehr über mich, meine Bedürfnisse und Wünsche, in meinem Selbst-Verständnis als Person.

Würde ich mich mit reflektierter, aber dabei syntaktisch bleibender Theologie zufriedengeben, könnte ich mich in eine lange Tradition und zeitgenössische Präsenz von Theolog:innen einreihen, die mystisch sensibel, politisch achtsam, manchmal beides, über die Gottesrede reden. Ich fühle mich ihnen auch verbunden.1 Gottesrede ist bei ihnen z.B. eine Theopoesie, die sich schön anhört, mich intellektuell aber dennoch nicht zufriedenstellt, weil ich – durch meine systemisch-konstruktivistische Beraterausbildung und der Beschäftigung mit ihren Quellen – verinnerlicht habe, nicht nur nach „Wissen/Nicht-Wissen“ zu fragen (1. Ordnung), sondern auch: „Wodurch weiß ich, was ich weiß?“ (2. Ordnung). Was mich als Intervention in Supervision und Coaching aufgrund seiner Wirkung immer wieder beeindruckt, hat mich mit der Zeit auch in meinem Glauben und als Theologe beeinflusst. Mir ist dadurch nicht das Anliegen eines verfassten Glaubens irrelevant geworden, aber jeder Weg einer erkenntnistheoretischen Abkürzung dorthin.

Auf der Suche nach einer Gottesrede, die unserem Wissen über das Wissen entspricht

Die Kognitionswissenschaft formuliert, dass Erkennen und Wissen körperimmanente, autopoietische Prozesse sind.2 Wenn ich sage: „Das ist ein Tisch“, war ich, der ich das sage, vermutlich zu keinem Moment ein Tisch. Woher habe ich also mein Wissen? Mein Wissen darüber, was ein Tisch ist, entsteht, in dem ich meine biophysisch gebundenen Möglichkeiten und intentional-reflexiven Fähigkeiten3 nutze, um mir – beeinflusst von sprachlich codierten Symbolisierungen und kulturell transportierten Vorannahmen – eine Vorstellung von einer sensorischen Wahrnehmung zu machen, mit der ich sage: „Das ist ein Tisch“. Was ein Tisch ist, hängt also von meinen Fähigkeiten, Möglichkeiten, Symbolisierungen und Vorannahmen ab. Wären die anders (drei Augen, mentales Handicap, kulturelle Tischpophie), wäre mein Wissen über einen Tisch ein anderes und in Folge dessen gegebenenfalls meine Meinung darüber und mein Umgang damit.4

Gott, als etwas, über das Absolutes („Du bist“) absolut („So ist es“) unabhängig von mir gesagt sein kann, gibt es nicht.

Meine Ist-Aussage ist also nur innerhalb meiner Gebundenheit gültig. Und genauso ist es mit Gott. Gott gibt es nur unter der gleichen Erkenntnislogik, wie es Tische gibt. Die philosophisch-theologische Abbildtheorie ist im Anschluss an das Kapitel „naiver Realismus“ um ein Kapitel weiterzuschreiben. Gott, als etwas, über das Absolutes („Du bist“) absolut („So ist es“) unabhängig von mir gesagt sein kann, gibt es nicht.

„Die Dinge haben keine Bedeutung, außer der, die wir ihnen verleihen“, schreibt Rudolf Englert. „Mit dieser epistemologischen Ausrüstung treffen wir nun auf eine religiöse Tradition, die in vieler Hinsicht ganz und gar durchwirkt ist von sakramentalem Denken, einem Denken, in dem die Dinge eine Stimme haben, in dem alles eine Bedeutung hat und als Spur eines göttlichen Schöpfers lesbar ist. Um die dann auftretenden Probleme zu verdeutlichen, braucht man nur in ein zurzeit in Gebrauch befindliches Kirchengesangbuch zu schauen. Die dichte Metaphorik der hier zu findenden Lieder ‚lebt‘ davon, dass sich die Dinge im Einzelnen und die Welt im Ganzen als Resonanzen göttlichen Wirkens betrachten lassen. Die Bilder, auf die man hier stößt, erschließen sich nur, wenn man alles, was geschieht, als Spiegelung höherer Absichten betrachtet und im Lichte tieferer Bedeutungszusammenhänge zu entziffern versucht.“5 Ich kann das nicht mehr. ‚Tiefere Bedeutungszusammenhänge‘ kommen mir von nirgendwoher entgegen. Sie sind meine Gehirn-Prozesse, in nichts anders als die Konstruktion des Sinnzusammenhangs „Tisch“. Das Mysterium der Evidenz ergreift mich deswegen nicht mehr. Und darauf konstruierte Rituale sind, mit dem katholischen Systemtheoretiker Peter Fuchs gesprochen, “feierlich zelebrierte Nicht-Antworten.”6

Die Bilder, auf die man in der Rede über Gott stößt, erschließen sich nur, wenn man alles, was geschieht, als Spiegelung höherer Absichten betrachtet und im Lichte tieferer Bedeutungszusammenhänge zu entziffern versucht.

Aber „(k)ann ein Glaube … Hoffnung geben, dem das Vertrauen auf einen sich … als ‚mächtig‘ erweisenden Gott … abhandengekommen ist?“7 Wie soll Religion “ohne quintessentielle Wahrheiten auskommen”?8 Mir ist die Konsequenz klar, wenn ein Gott, den es gibt, als Erklärung für irgendetwas oder Hoffnung auf irgendetwas ausfällt. Ich spüre die damit aufkommende Angst. Sie macht mich zu einem Suchenden. Ich kann mich mit der Aussage von Peter Trummer identifizieren, nach der Menschen heute „nicht ungläubiger, sondern achtsamer, spiritueller geworden“9 sind. Genau so. Denn was folgt, wenn die „Vorstellung einer antwortenden Welt“10 verblasst und objektive Wahrheit als „regulative Idee“11 ausfällt?

Ich nehme die spirituell-existentielle und theologisch-intellektuelle Herausforderung an. Willkommen im Epochenwechsel.

Wie es dazu kam, Gott als personales Du-Gegenüber zu denken

Die mentalen (Gehirn-)Prozesse von uns Menschen streben nach Stand der Dinge nach Homöostase, einem Gleichgewichtszustand energetischer Be- und Entlastung. Dies betrifft auch die Bearbeitung der mentalen Kontingenzerfahrung: die Nicht-Notwendigkeit alles Bestehenden. Die ruft nach Lösung und Klärung. Die Dinge sollen „logisch“, „in sich stimmig“, verbindlich sein – manchmal bis dahin gehend, dass man sich und/oder anderen etwas vormacht.

(Natürlich) Vereinfacht gesagt entsteht als eine Lösung der Selbsterfahrung des Menschen, sich nicht selbst erschaffen zu haben, ein dualistisches Weltbild, in dem sich Mensch/Welt und Gott (etymologisch „(herbei-)rufen“) religiös (= rückgebunden) gegenüber stehen: Wenn nicht ich die Welt erschaffen habe, muss sie ja irgendwoher her kommen, weil ich sie erfahre (alternative Lösung: das alles ist nur Trug und Lug). Dieses Prinzip ermöglicht auch eine Antwort auf das, was den Mensch in seiner Selbst-Erfahrung als Seiender bedrängt: „Wie bin ich, wenn ich tot bin?“ Die politischen Vorzüge dieser Logik – v.a. für die Herrschenden, die sich als „Mitwisser“ der „anderen Seite“ legitimieren – sorgen für kulturelle Stabilisierung dieses Sinn-Bildes.

Die Dinge sollen „logisch“, „in sich stimmig“, verbindlich sein – manchmal bis dahin gehend, dass man sich und/oder anderen etwas vormacht.

Als Erfahrung steht da aber auch das menschliche Erleben von Potenz und Potential, Selbstwirksamkeit, prozessual und Generationen übergreifende (und damit -verbindend) sich verschiebende Entwicklungs-Kreisläufe, Wendeltreppen gleich.

Der christliche Glaube ist eine Beschreibungen dessen, beide Erfahrungen – des Gegenüber und der Integrität – miteinander zu deuten: Christen glauben, dass der eine, ewige, aber geschichtliche Bündnisse eingehende Gott die Distanz zwischen Himmel und Erde in der Sendung seines Sohnes (Gottes-Gene in endlicher Materie) durchbrochen hat. Der in der frühen christlichen Theologie aus dem Hellenistischen übertragene Personenbegriff (per-sona = durchscheinen) ist eine vorsichtige Möglichkeit, die Integrität Gottes-als-Gott mit der Erfahrungsebene seiner schöpferischen Gegenwart-in-meiner-Welt zu verknüpfen. Gott ist Person – das bedeutet: Wir können ihn erkennen. Verstehen können wir ihn nicht. Das ist wie unter Menschen.

Gott ist Person – das bedeutet: Wir können ihn erkennen. Verstehen können wir ihn nicht. Das ist wie unter Menschen.

Soweit alles okay. Mir gefällt auch die zwischen ontologischer Seins- und Prozess-Theologie12 entstehende Aushandlungsdynamik, die theologische Fakultäten und Akademien beschäftigt, die in Fragen der Kirchenentwicklung zu entscheiden sind und ich nehme in Kauf, dass sie auf Synoden zu Konsens-Papieren niedergerungen wird. Mein Knackpunkt bleibt: Woher wissen wir das, was wir über Gott sagen? Die übliche Antwort auf diese Frage „Gott offenbart sich so“ ist für mich an ein Ende gekommen, weil – siehe „Tisch“ – meine Erkenntnis in mir entsteht, selbst wenn Gott mir erscheinen und Jesus mich an die Hand nehmen würde.

Als Lösung bleibt aus meiner Sicht nur, einen Begriff von Wahrheit zu finden, der an den Grenzen meiner Wahrnehmung endet, aber Wahrheit bleibt.

Ich kann die Bibel lesen (und tue es) und mich von den Zeugnissen früherer Generationen und ihrer Jesus-Überlieferung anfragen, inspirieren und motivieren lassen. Ich weiß ebenfalls um die Unverfügbarkeit von Erfahrungen, die sich mir zeigen, überraschen, ja, überwältigen und die mich aus meinen bereitgelegten Erklärungsmustern herauskatapultieren (ich erinnere mich gut). Aber ich komme bei alledem nicht aus meinem Wahrnehmungsapparat heraus. Und da für mich als Lösung sowohl ausfällt, dass es im Menschen „irgendwie“ etwas gibt, was ihn zum Gotteskontakt disponiert, als auch alles in (schlimmstenfalls selbstherrlicher) Selbstherrlichkeit zu sehen – was ja Quatsch ist, denn meine vitalen Prozesse brauchen Zufuhr von somatischer und sensorischer Energie –, bleibt aus meiner Sicht nur, einen Begriff von Wahrheit zu finden, der an den Grenzen meiner Wahrnehmung endet, aber Wahrheit bleibt. Auch in der Sache „Gott“. Und damit komme ich zum Konstruktivismus.

Wahrnehmungsgebundene Wirklichkeit von Wahrheit

Der Konstruktivismus13 ist eine in seiner jüngeren Geschichte zur Darstellung technisch-physikalischer Kreisläufe genutztes, auf soziale und pädagogische Prozesse übertragene, mehr und mehr auch neurobiologisch legitimierte Konzeptentscheidung, Wirklichkeit als Produktion selbstreferentiell-zirkulär-reflexiver Prozesse zu verstehen. Zeitgenössisch spielt er als Grundorientierung in einer „späten“, also zu Ende gehenden, Moderne eine Rolle in Kultur, Politik, Wissenschaft und Technik, weil er in einer systemischen Lesart Steuerung als Steuerungsprozess (Kybernetik 2. Ordnung) versteht: nicht nur die Steuerung, sondern auch die Steuerung der Steuerung ist ein rekursiver, selbstverweisender, konstitutiv konstruktiver Prozess. Landschaft, Landkarte und Navigationsgerät werden also voneinander unterschieden, mit anderen Worten: Suchprozesse ermöglicht.

Der Konstruktivismus gibt einen Begriff von Wahrheit nicht auf. Aber er definiert Wahrheit nicht als die eines Zuschauers, der einen Ausschnitt von vorgefundener Wirklichkeit sieht, sondern als eine Beobachtung unter Beteiligtenperspektive.

Erkenntnis wird weder „vorgefunden“ noch „gemacht“, nicht in einem, sondern als ein Prozess rekursiver Beobachtungen erkannt. Die Folge: Jede Wahrnehmung ist wahr, jedes Tun, dass sich denken lässt, lässt sich (mindestens im Denken) tun. Der Preis: Jeder Inhalt ist davon bestimmt, konstruiert zu sein.14 Und das ist nicht trivial, sondern ein Konzept von Welt, mit dem man Programm und Politik machen kann. Welche Politik? Purer individualistischer Hedonismus? Nein. Aber während Immanuel Kant noch einen sittlichen Grund im Wesen des Menschen argumentierte, ist für mich ein Hinweis von Heinz von Foerster die dem Konstruktivismus entsprechende ethische Grundlegung: die Aussage „Was ich erkenne, ist wahr“ trägt die Bedingung in sich, dieses Wissen rekursiv zu verantworten: Ich bin für die Folgen der Wirkungen meiner Wahrnehmung verantwortlich.15

Der Konstruktivismus ist, wo er erkenntnistheoretische Grundentscheidung ist,16 deontologisch, weil er für die Auflösung von Kontingenz nicht nach einem Anfang außerhalb der Form seiner Logik fragt. “Die Sinnwelt wird aufgelöst in ein Kompendium von Beobachtungsartefakten. Die Realitätsfrage lässt sich nicht stellen.”17 Ist er damit delegitimiert, „Theo-Logisch“ aufgegriffen zu werden? Die theologische Disziplin und das kirchliche Lehramt tun sich in der Tat an den Stellen schwer mit ihm, wo es um argumentative Schließungen geht. Aber der Konstruktivismus kennt argumentative Schließungen. Weder ist alles egal noch alles immer im Fluß. Erkenntnis, Wissen und Entscheidung sind halt nur selbstreferentiell. Der Konstruktivismus gibt auch einen Begriff von Wahrheit nicht auf. Aber er definiert Wahrheit nicht als die eines Zuschauers, der einen Ausschnitt von vorgefundener Wirklichkeit sieht, sondern als eine Beobachtung unter Beteiligtenperspektive.18

Wahrheit liegt im Auge des Betrachters und ist eingebunden in eine Erlebnis- und Wirkungsgeschichte.

Dies ist ein genügsamer Wahrheitsbegriff. Wahrheit liegt im Auge des Betrachters und ist eingebunden in eine Erlebnis- und Wirkungsgeschichte. Als solche kann ich Wahrheit erzählen. Beispielsweise kann ich Ihnen die Liebe zu meiner Frau letztlich nicht erklären, dennoch ist sie da. Ich kann Ihnen von den Wirkungen erzählen. Auch Konstruktionen können ganz schön(e) Wirkung haben!

… theologisch aufgenommen

Ein konstruktivistisch gedachter Gott ist also kein konstruierter Gott. Aber jede Gotteserkenntnis ist nur selbstreferentiell wahr, es gibt keine allgemeine, beobachterunabhängige.

Theologische Rede, die sich auf die Transzendenz von Wirklichkeit jenseits mentaler Fähigkeiten, Möglichkeiten und Vorannahmen begründet, ist delegitimiert.

Ist dass das Ende transzendentaler Theologie? Ja, im Sinne einer Abkürzung zu behaupteter Erkenntnis, also einer Erkenntnis, die nicht an den Vorgang des Erkennens gebunden ist. Wie z.B. in der römisch-katholischen Sakramententheologie als ontologische Substanztheologie oder in der die Amts-Ekklesiologie begründenden apostolische Sukzession, bei der nicht die Weise der Überlieferung, sondern lediglich der Vorgang als solcher Bedeutung hat. Theologische Rede, die sich auf die Transzendenz (lateinisch „Übersteigen“) von Wirklichkeit jenseits mentaler Fähigkeiten, Möglichkeiten und Vorannahmen begründet, ist delegitimiert.

Wenn nun vom Konstruktivismus her der begründende Verweis auf die Transzendenz der / aller / in allen Dingen ausfällt, wie wird dann aber die Frage „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“ beantwortet? Wird man die Kontingenz im Blick auf die Frage des Sinns von Sinn wieder los? Und folgt daraus ein Gottesbegriff? Und ist dieser noch christlich zu nennen?19

Ein Gedankenweg: Die Form der Schließung

Ich finde es inspirierend, hierzu auf das Formenkalkül des Mathematikers und Philosophen George Spencer Brown zu schauen.20 Seine Arbeit ist konstruktivistische Grundlagenforschung, eine gedankliche Achterbahnfahrt. Die Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ ist demnach nicht „Gott“ oder „42“, sondern: Die Schließung beinhaltet sich selbst.

Sinn entsteht nicht durch den Sinn einer Entscheidung, sondern durch die Form der Unterscheidung.

Spencer Brown löst in seiner Arbeit die Aufgabe, den Anfang einer zweiwertigen Logik (Ja/Nein, Richtig/Falsch, Sein/Nicht-Sein, Sinn/Nicht-Sinn, Leben/Tod) zu beschreiben. Sein Kalkül (= „Rechnung“) setzt dafür nicht länger eine erste Kategorie oder eine größere Wirklichkeit voraus. Er geht vielmehr über die Substanz von etwas hinaus und betrachtet die Form einer Unterscheidung. Sinn entsteht demnach nicht durch den Sinn einer Entscheidung (als Folgekette von Sinngebung bräuchte es dann ja doch irgendwann einen „Sinn am Anfang“), sondern durch die Form der Unterscheidung.

Unter Unterscheidung (= „Distinction“) versteht Spencer Brown nicht die Trennung (= „Decision“) einer Sache von einer anderen, gar die Löschung des Abgetrennten, sondern ein Bezeichnen/Markieren, durch die ein markierter von einem unmarkierten Zustand unterschieden wird. In einer so verstandenen Unterscheidung bleiben beide Seiten als unterschiedene Seiten erhalten. „Leben“ ist demnach nicht einfach die Abwesenheit von „Tod“, sondern die Einheit der Differenz zwischen „Leben“ und „Tod“. Das Schema lautet: Leben = Leben | Tod“. Keine Seite der Markierung ist „besser“ oder „mehr Ding“ als die andere, denn das Motiv der Unterscheidung ist lediglich, dass sie vollzogen wird.21

Aber „wer“ vollzieht die Unterscheidung? Spencer Brown beschreibt den Vollzug der Form als Selbstbeobachtung. Die Unterscheidung wird auf der Innenseite der Unterscheidung beobachtet, sie kreuzt sich selbst. Diese Schließung – der „re-entry“ der Form in die Form – korrespondiert mit der mentalen Erfahrung, durch mich selbst auf mich selbst aufmerksam zu werden. Beispiel: Ich gehe ins Kino und frage mich im Kinosaal, ob ich hier eigentlich hinwollte. Ich kann mich im Rahmen meiner Wahrnehmungsmöglichkeiten selbst beobachten. Der Beobachter ist seiner Beobachtung implizit.

Felix Lau schreibt in seiner Einführung in das Denken Spencer Browns zum Ertrag: „Die … Konzeption ermöglicht … eine Beschreibung, nach der Zeit und Raum Produkte der Beobachtung von Welt sind. … Andere Qualitäten sind nicht notwendig, um alle Qualitäten zu erhalten.“22 Ein Letztbezug ist argumentativ nicht nötig, sondern die Form des Vorgangs ruft Sinn hervor. Sinn entsteht nicht in der Begründung einer Unterscheidung, sondern darin, dass überhaupt unterschieden wird. Nicht die Antwort auf die Frage „Henne oder Ei?“ ist sinnerzeugend, sondern dass zwischen Henne und Ei unterschieden wird – und zwar von Henne und Ei und als neue Qualität für sie.

Gott als Form denken

In der Form der Unterscheidung entsteht Sinn. Ich finde das theologisch aufregend. Denn wie wäre es dann, die Form, etwas über Gott zu denken, als Form zu denken? Über Gott nicht in Seins-Aussagen zu sprechen („Gott ist“), Gott nicht an den Beginn einer entschiedenen Logik zu setzen, als Prinzip (und möglicherweise Prinzipal:in), sondern als Form der Einheit einer Differenz, als Motiv für eine Unterscheidung.

Ich plädiere für eine Theologie der Beobachtung, die um die Bezogenheit der Beobachtung auf sich selbst weiß und sich damit begnügt.

„Am Anfang war der Unterschied eine Einheit.“ Das ist mit Absicht in Anlehnung an Genesis 1 so formuliert. In einer formentheoretischen Lesart der creatio ex nihilo ist jedoch unwichtig, wer die Welt erschafft oder sich sonst wie angenommenerweise offenbart. Es geht nicht darum, „was“ „wie“ wirkt, um fortan aus Ableitungen heraus „was“ und „wie“ zu einer Rede von (und zu) Gott zu entfalten. Das sind lauter Markierungen, die mit Fähigkeiten, Möglichkeiten, Symbolisierungen und Vorannahmen zu tun haben. Theologisch interessant am Formenkalkül ist vielmehr, dass die Diskrepanz zwischen Sein und Substanz als Diskrepanz in einer Beobachtung gehalten wird und Fähigkeiten, Möglichkeiten, Symbolisierung und Vorannahmen, die einen Unterschieden machen, nicht aufzulösen versucht, sondern in das Konzept von Erkenntnis einrechnet. “Gott ist die Unhintertreiblichkeit des Systems. Mit ihr lässt sich eine Welt denken und kommunizieren. Nur eines ist ausgeschlossen: das Durchkreuzen des Ausgehens von Gott.“23

Der die biblisch-christliche Tradition kennzeichnende sowie die dogmatische Lehrmeinung konstituierende Verweischarakter auf Gott bleibt meiner Meinung nach dadurch erhalten. Es ist freilich eine Theologie, die – aus ontologischer Perspektive – „mittendrin“ anfängt und aufhört. Es gibt mit ihr keinen Letztbeweis, keinen Gottesbeweis. Aber hat eine ontologisch argumentierende Theologie ihn wirklich?

Ich plädiere für eine Theologie der Beobachtung, die um die Bezogenheit der Beobachtung auf sich selbst weiß und sich damit begnügt. Und so wie ich mich im Kinosaal fragen kann, was ich hier eigentlich tue, was ich ja nur tun kann, wenn ich im Kinosaal bin, kann ich mich ja eben auch fragen, ob ich das, was ich in meiner Weltwirklichkeit erlebe, nicht mit einem Begriff von Gott beschreiben möchte. Ein Begriff, der mich mit der Verkündigung und dem Lebenszeugnis Jesu, welcher mit Gott gerechnet (!) hat, verbindet und mich Teil einer Nachfolgegemeinschaft auf seinen Namen hin sein lässt. Was daran ist weniger wahr?

Die große, große Versuchung ist, aus diesem Begriff von Gott nun doch wieder ein Wort zu machen, eine Bedeutung, einen Inhalt, einen Gott. Gott als Form denken heißt nicht: Gott ist ein Förmchen. Denn die Form hat als Form keine Substanz denn sie „ist“ Form nur in ihrer Anwendung.

Mir ist die Verschraubtheit solcher Formulierungen bewusst, aber genau das ist es ja: Ich kann „Einheit“ und „Differenz“ nur nacheinander schreiben und sofort meint man, es gäbe ein Verhältnis zwischen den Begriffen. Aber die ist nur grammatikalisch. Das Kalkül der Form besagt: es ist EDifnfheerietnz. Ich habe deswegen Interesse an einer christlichen Spiritualität, die nicht mit einer Unterscheidung rechnet, sondern mit der Unterscheidung.

Spiritualität 2. Ordnung

Eine solche Spiritualität muss Einheit und Differenz zusammenhalten. Die Aufforderung zur Unterscheidung als immanent, doch das, was Unterschieden wird, als noch nicht begriffene Qualität verstehen (sonst wäre es ja nur die Reproduktion einer Unterscheidung). Ist im christlichen Zeugnis solches möglich?

Ich lese zum Beispiel die Sakramententheologie eines Leonardo Boffs so.24 Das Sakrament entsteht nicht durch eine mittels metaphysischer Verfahren bezeichnete Substanz, sondern durch den Verweischarakter auf eine Bedeutung, die durch Menschen, die darum wissen, im Moment des Vollzugs und Ereignisses aktualisiert wird. So kann ein Zigarettenstummel zum Sakrament (= „Heilszeichen“) werden, weil er die, die davon wissen, an den abwesenden Vater erinnert. Nicht anders ist es, wenn der Priester in der römischen Eucharistiefeier nach dem Segensgebet über Brot und Wein die versammelten Menschen zum Bekenntnis auffordert. Ist das nicht der Moment, der die Präsenz Jesu aus Vertrauen heraus konstituiert (und, in Abgrenzung zu reformierter Theologie, nicht nur abbildet)?

Nicht das Wesen Gottes zu erklären, sondern sein Wirken zu beschreiben und aufzunehmen, ist die größere Ehre Gottes.

Ich verstehe auch die ignatianische Spiritualität so und wundere mich nicht, dass sie mir seit langem zusagt. Es ist eine pragmatische Spiritualität aus theologischen Gründen: nicht das Wesen Gottes zu erklären, sondern sein Wirken zu beschreiben und aufzunehmen, ist die größere Ehre Gottes. Es geht um Possibilität statt argumentative Absolutheit. Ignatianische Spiritualität macht es zum Prinzip und Fundament, dass jeder Mensch Gott auf seine Weise erfahren und aus Erfahrung heraus erkennen kann und daraus eine am Handeln Jesu orientierte individuelle Antwort formuliert. So kann gesagt sein: „Gott existiert nicht. Die Vorstellung von Gott als einem, der da ist und für uns sorgt, ist kindliches Wunschdenken, das es zu überwinden gilt. An die Stelle Gottes soll das eigene Person-Werden und Lieben-können treten.“25 Gottesoffenbarung ist demnach Offenbarung im Leben eines Menschen, kein überweltliches Ereignis.

Von Gott zu reden ist nur in der Sprachform des persönlichen Zeugnisses möglich.

In solcher Theologie und Spiritualität bleibt christliches Zeugnis entscheidbar, bekennbar, für Einzelne und Gruppen ethisch und normativ bedeutsam. Von Gott zu reden ist aber nur in der Sprachform des persönlichen Zeugnisses möglich: Ich glaube an einen Gott, den es gibt, weil ich an ihn glaube.26 Denn „Ich glaube“ ist die Entscheidung eines Beobachters unter Beteiligtenperspektive. Eine (Gebets-)Rede zu Gott ist dann aber die Rede zu einem Abwesenden unter (mindestens einem) Anwesenden. Denn da „ist“ ja niemand im Sinne eines Gegenübers. Aber wenn Menschen zusammenkommen, sich Geschichten erzählen, von ihren Wunden und Wundern berichten und dies mit der Botschaft und dem Lebenszeugnis Jesu verbinden, habe ich das schon als „Hochgebet des Lebens“ erfahren, weil auf einen substanzpersonalen Begriff von Gott verzichtet, stattdessen die Substanz in den anwesenden Personen fokussiert wurde. Während – worauf Peter Fuchs hinweist27 – verkündete Glaubenswahrheiten gegenbeobachtbar sind, werden hier die Beobachter:innen in ihre Beobachtung einbezogen.

Dazu passt auch: Als Christen feiern wir Liturgie, keinen Kult. Denn „(w)enn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie, denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet.“ (Mt 6,7-8) Das Gottesbild Jesu ist, kulturell eingeschlossen im „Vater“-Bild, dass des mit-ziehenden Gottes seit Abrahams Zeiten. Die Lebenspraxis im “Format Jesu” besteht nun nicht in der Übernahme dieses Bildes, sondern ist die Einübung in die reflektierte Selbstwahrnehmung eigener Unterscheidungen und die verantwortungsübernehmende Überprüfung dieser am Handeln Jesu.

Je mehr ich den Gottesbegriff aufgrund seiner abkürzenden Wirkung vermeide, umso deutlicher kennzeichne ich mich als Christ.

Wem das alles zu immanent klingt, der:dem sei dieser Gedanke angeboten: Immanenz ist eine Markierung zur Unterscheidung von Transzendenz. Immanenz erhält damit einen spezifischen Wert – für klassische Gottesrede einen kritischen. Was aber, wenn Immanenz anders unterschieden wird? Von der Beobachtung einer Beobachtung her? Das Wort dafür wäre “Cis-zendenz” statt Trans-zendenz. Denn es stimmt ja: Immanenz, die um ihre Form als Beobachtung nicht weiß, meint, es gäbe nur sie.

Von mir kann ich sagen: Je mehr ich den Gottesbegriff aufgrund seiner abkürzenden Wirkung vermeide, umso deutlicher kennzeichne ich mich als Christ. Das klingt absurd. Aber das Christentum ist die Religion, die nicht das Bekenntnis zu einem Wort von Gott, sondern das Zeugnis in der Nachfolge eines Menschen in den Mittelpunkt stellt. Ihr Glaube ist das einer Beobachtung von Welt unter dem Vorzeichen – einer Markierung – des Potentials von Gerechtigkeit und Heilung. Die Quelle dieses “Heils” ist nicht metaphysische Substanz, sondern (reflexives) Erkennen und (mutiges) Handeln.

Erst die Festlegung von (immerhin) vier kanonischen Evangelien machte aus der Wahrheit der Wahrnehmungen eine zu wahrende Wahrheit.

Für die Praxis der Kirche in Pastoral und Seelsorge hat die aus einer Theologie der Beobachtung folgende „Spiritualität 2. Ordnung“ Konsequenzen. Weitreichende Konsequenzen, weil damit ein ganzes Geschäfts- und Professionsmodell in Frage steht.

Für die, die in diesem Modell weiter um die „richtige“ Liturgie, die „richtige“ Katechese oder die „richtige“ Kirchengestalt streiten wollen, birgt die Geschichte der Kirche diesen Hinweis: Jedes der aufgeschriebenen Evangelien vermittelt eine eigene Wahrheit über Jesus, den Christus. Gäbe es lediglich eine, hätte ein Evangelium gereicht. Erst die Festlegung von (immerhin) vier kanonischen Evangelien machte aus der Wahrheit der Wahrnehmungen eine zu wahrende Wahrheit. Die Motivation für diese Festlegung hatte Bekenntnisgründe auf dem Weg zu einer christlichen Identität und Organisation. Sie ist sinnstiftende Konstruktion von Wirklichkeit, sagt aber nichts „Objektives“ über den Wahrheitsgehalt der einzelnen Texte. So sollten wir aufhören, über „die Wahrheit“ zu streiten und lieber anfangen, unsere gemeinsame Wahrheit zu beschreiben und daraus Gruppe, Strategie und Organisation zu machen. Mit anderen Worten: Mehr Synodalität als Ereignis, weniger Kirchenparlament als Format.

Ich existiere im Königreich Gottes.

Was mich betrifft: Der konstruktivistische Erkenntnisbiologe Humberto Maturana wurde einmal gefragt, ob er an Gott glaube. Ihm war aus dem Kontext heraus klar, dass von ihm eine Ja/Nein-Antwort erwartet wurde. Doch er blieb seinem Erkenntniskonzept treu und gab eine Antwort, mit denen er seine Fähigkeiten, Möglichkeiten, Symbolisierungen und Vorannahmen nicht transzendierte, aber in seiner Entscheidung erkennbar wurde. Seine Antwort soll auch meine sein: „Ich existiere im Königreich Gottes.“

P.S. Die letzte Unterscheidung

Religiosität, die auf metaphysische Objektivität und transzendente Realität zurückbindet, hat freilich einen „Wettbewerbsvorteil“: die Antwort auf die letzte Frage – die des Todes –, die ja nicht nur eine Frage nach dem Verbleib, sondern (vielleicht vor allem) auch nach dem Wert im / des Hier-und-Jetzt ist. Der Glaube an einen ewigen, allmächtigen, liebenden Gott offeriert hier eine Qualität für v.a. emotionale Kompensation im Bewusstsein um das Ausgeliefertsein von Gewalt sowie Tod durch Krankheit und Unfälle. Entsprechende Worte, Gesten und Riten sind Lösungen in der Drangsal dieser Erfahrungen. Sie helfen wieder aufzustehen.

In der Beratung sage ich in scheinbar ausweglosen Situationen: „Es gibt immer drei Lösungen.“ Die Leute finden dann mindestens vier.

Auch christliche Religion bindet an einen Gottglauben zurück. Aber muss Gott dafür absolut sein? Muss das, was über Gott gesagt wird, wahr sein, damit es Wahrheit ist? Reicht es nicht, wenn mir diese oder jene Riten etwas für meine Kompensation von Ungewissheit bedeuten? Wird umgekehrt das Wissen um Himmel und ewiges Leben größer, je öfter ich sage, dass das ja Wahr ist?

In der Beratung sage ich in scheinbar ausweglosen Situationen: „Es gibt immer drei Lösungen.“ Die Leute finden dann mindestens vier. Mit Blick auf meine eigene Existenz weiß ich: In jedem Augenblick entscheiden sich meine Vitalprozesse für ihre Aktualisierung (= Fortführung). Irgendwann, wenn keine Homöostase (mehr) möglich ist, entscheiden sie sich für die letzte Lösung: Autopoiese zu beenden. Auch diese Aufforderung ist immanent, und das, was Unterschieden wird, noch nicht begriffene Qualität. Woher soll ich heute schon davon wissen?

Praxis

Video-Interview: Die Gesellschaft spuckt das Christentum aus

Interview zur aktuellen Situation der Kirchen im Vorfeld des 7. Strategiekongresses zum Thema “AUFLÖSUNG – Kirche reformieren, unterbrechen, aufhören?”

Praxis

Video-Interview: Die Kirchen werden nicht mehr gebraucht

Interview zur aktuellen Situation der Kirchen im Vorfeld des 7. Strategiekongresses zum Thema “AUFLÖSUNG – Kirche reformieren, unterbrechen, aufhören?”

Praxis

Video-Interview: Herauskommen aus der Selbstbeschäftigung

Interview zur aktuellen Situation der Kirchen im Vorfeld des 7. Strategiekongresses zum Thema “AUFLÖSUNG – Kirche reformieren, unterbrechen, aufhören?”

Praxis

Video Interview: Bedroht vom großen Skandal und vom großen Egal

Interview zur aktuellen Situation der Kirchen im Vorfeld des 7. Strategiekongresses zum Thema “AUFLÖSUNG – Kirche reformieren, unterbrechen, aufhören?”

Praxis

Umsteuern! RobinSisterhood e.V.

„Das ist menschenverachtend und ich möchte, dass das aufhört!“ Monika Schmelter von „Out in Church“ hat im Film „Wie Gott uns schuf“ diesen Satz über die Diskriminierungsstrategien der Amtskirche geprägt.

Das kalte, menschenverachtende Angesicht der römisch-katholischen Hierarchie zeigte sich mir im Oktober 2020 als Rainer Maria Woelki, der Kardinal von Köln, zusammen mit seinen Anwälten und Beratern bekannt gab, dass er das Missbrauchsgutachten der Kanzlei Westpfahl, Spilker und Wastl mit der Zustimmung des Betroffenenbeirats nicht veröffentlichen werde. Ohne das Gutachten der Münchner Kanzlei zu kennen, wurden die Betroffenen in einer mehrstündigen Sitzung mit Spitzenanwälten über die angeblichen äußerungsrechtlichen und methodischen Mängel informiert und davon „überzeugt“, dass die für Oktober geplante Veröffentlichung verhindert werden muss. Für Kardinal Woelkis Absichten ein vermeintlich geschickter Schachzug: Mit der Zustimmung der Betroffenen von sexualisierter Gewalt an seiner Seite würde niemand die Richtigkeit und Lauterkeit dieser Entscheidung anzweifeln. Allerdings hatten der Kardinal und seine Berater nicht mit dem Mut und der Aufrichtigkeit einiger Menschen in diesem Kreis gerechnet: Drei Mitglieder des Betroffenenbeirats erkannten das falsche Spiel und erklärten ihren Austritt aus dem Gremium. Der Beirat war nicht mehr handlungsfähig.

Das zu tun, was Kirche nicht leistet: Den von sexualisierter Gewalt betroffenen und den diskriminierten Menschen zur Seite zu stehen und zusammen mit ihnen starke Lobby für Gerechtigkeit zu sein.

Als Maria 2.0 Gruppe stellten wir uns sofort an die Seite der Betroffenen sexualisierter Gewalt und stehen dort bis heute. Aus diesem intensiven Engagement wurde die Idee für umsteuern! Robinsisterhood geboren: Das zu tun, was Kirche nicht leistet: Den von sexualisierter Gewalt betroffenen und den diskriminierten Menschen zur Seite zu stehen und zusammen mit ihnen starke Lobby für Gerechtigkeit zu sein.

Wir möchten, dass das menschenverachtende Tun und Unterlassen aufhört. Mit umsteuern! Robinsisterhood fängt etwas Neues an. Das Besondere dabei: Wir arbeiten Hand in Hand. Wir lernen gegenseitig Tag für Tag voneinander. Das erzeugt eine umfassende Expertise und eine unglaubliche Energie.

Für uns gilt eine Perspektive und das ist die Perspektive der Betroffenen. Daraus ergibt sich nur eine Option: Das Schweigen brechen und aufstehen für Gerechtigkeit.

Wir erleben eine große Solidarität außerhalb der „katholischen Bubble“. Menschen, denen christliche Werte wichtig sind, die selbst schon schlechte Erfahrungen mit der Institution gemacht haben, die aus der Kirche ausgetreten sind, aber durchaus auch positive Erfahrungen in der Jugend gemacht haben, sind begeistert von der Idee und unserer Arbeit.

Seit der Gründung unserer Beratungsstelle Leuchtzeichen, die von einer hauptamtlichen Kraft und vielen (aber nie genug) Ehrenamtlichen getragen wird, erleben wir einen hohen Bedarf an Beratung, Austausch und Vernetzung . Uns erreichen viele Anfragen von Betroffenen. Für einige ist das Engagement im Verein eine befreiende Erfahrung, selbst aktiv zu werden.

Am Beginn meines Engagements bei Maria 2.0 hatte ich noch die Hoffnung, dass sich die Institution wandeln könnte. Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass sich die klerikale Machtelite von sich aus nicht ändern wird.

Am Beginn meines Engagements bei Maria 2.0 hatte ich noch die Hoffnung, dass sich die Institution wandeln könnte. Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass sich die klerikale Machtelite von sich aus nicht ändern wird. Die „Klerikerkirche“ hat zu viel Macht und Vermögen als dass man sie sich selbst überlassen sollte. Deshalb ist eine starke Opposition wichtig. Katholikinnen selbst müssen demokratische Standards, die Achtung von Menschenrechten und das Ende jeglicher Diskriminierung einfordern. Zentral ist dabei die Frage: Wem gehört die Kirche? Es ist nicht gottgegeben, dass über die Mittel nur geweihte Männer entscheiden. Die Kirchen „gehören“ nicht den Klerikern. Wohin eine unkontrollierte Macht über Vermögen führen kann, ist in Köln derzeit zu bestaunen. 2,8 Millionen Euro für Anwälte und Kommunikationsberater, hohe Millionenbeträge für eine fragwürdige Hochschule, die zum „pastoralen Schwerpunkt“ umetikettiert wurde, um sie an allen Gremien vorbei zu installieren. Das muss aufhören! Auch die Rolle des Staates muss hinterfragt werden. Ist es redlich, dass der Staat einer Institution, die Menschenrechte missachtet, die Straftaten über Jahrzehnte vertuscht hat, weiterhin Privilegien einräumt? Die Verflechtung von Staat und Kirche in Deutschland ist hochproblematisch. Deshalb ist es nur zu begrüßen, dass die SPD Fraktion zumindest im Landtag in NRW einen Antrag eingebracht hat, der zum Ziel hat, Aufarbeitung sexualisierter Gewalt unter staatliche Aufsicht zu stellen.

Für mich läge die Zukunft der Kirche nur im Entzug ihrer vom Staat gewährten Privilegien.

Wir beobachten in den Kirche seit Jahren einen schleichenden und in jüngster Zeit einen rasanten Zerfall. Es gibt Splittergruppen, die es sich noch in ihren Nischen „gemütlich“ machen. Allerdings wird sich in naher Zukunft nichts daran ändern, dass das immense Vermögen der römisch katholischen Kirche in den Händen einer klerikalen, immer kleiner werdenden Gruppe von reaktionären Kräften bleiben wird. Sie bestimmen mit ihrer antimodernen Haltung die Geschicke. Sie benötigen auch keine Gläubigen. Die „kleine treue Herde“ ist ihnen lieber als die kritische Mehrheit. Kirchenaustritte berühren sie nur am Rande. Für mich läge die Zukunft der Kirche nur im Entzug ihrer vom Staat gewährten Privilegien. Solange sie diese Machtposition aber inne hat, werden sich immer mehr Menschen abwenden, weil sie christliche Werte im Wirken der Hierarchie nicht mehr sehen.

Ich werde mich auch bei einem Kirchenaustritt, den immer mehr Menschen in meinem Umfeld schon vollzogen haben, nicht von diesen Themen abwenden. Es geht um Gerechtigkeit und um Menschenwürde. Das werde ich einfordern, solange ich kann. Egal ob ich Kirchensteuer bezahle oder nicht.

 

Praxis

Umsonst habt Ihr empfangen, umsonst sollt Ihr auch geben

Was mich antreibt, mich mit aller Kraft in der Kirche zu engagieren und mich für sie einzusetzen

„Umsonst habt Ihr empfangen, umsonst sollt Ihr auch geben.“ Dieses Wort Jesu (Matthäus 10,8) ist mein Leitwort, das ich anlässlich meiner Priesterweihe ausgewählt habe. Umsonst, gratis habe ich wie alle Menschen Gaben empfangen, um sie in der Zeit meines Lebens und in der Wirklichkeit einzusetzen, in der ich lebe. Mit diesen Gaben kann ich Menschen in ihrem Leben unterstützen, kann die Perspektive auf das ewige Leben eröffnen und bei alledem die Beziehung zu Gott pflegen. Aus diesem Geist wollte ich mich engagieren und tue es auch heute. Die Orte, an denen ich war und bin, haben sich verändert. Meine Aufgaben haben sich verändert. Nicht verändert aber hat sich meine Haltung, die Gaben, die ich gratis empfangen habe, auch umsonst einzusetzen. Umsonst kann dann im Deutschen auch „vergeblich“ bedeuten. Auch das gehört zur Wirklichkeit. Die Ambivalenzen –  zum Beispiel teilweise sich extrem unterscheidende Kirchenbilder der Katholik:innen, in deren Dienst ich unabhängig von ihren Vorstellungen stehe – ertrage ich, weil ich glaube, dass Gott unter allen Umständen gegenwärtig ist und in jedem Menschen lebt und wirken will. Seine Gegenwart ist Grund meiner Anwesenheit.

Die Ambivalenzen … ertrage ich, weil ich glaube, dass Gott unter allen Umständen gegenwärtig ist und in jedem Menschen lebt und wirken will.

Wo ich die Knackpunkte im Blick auf die Zukunft sehe

Wenn wir auf die letzten 60 Jahre zurückschauen, erweisen sich Themen, die wir seit dem 19. Jahrhundert in unserer Kirche nicht zufriedenstellend beantworten, auch nach dem II. Vatikanischen Konzil als ungelöste Probleme. Selbst wenn einige behaupten, Themen seien theologisch geklärt. Hätten Sie Recht, bedeutet das noch nicht, dass es keine Knackpunkte mehr gibt. Meines Erachtens  ist beispielsweise das Verhältnis von Amt und Teilhabe beziehungsweise aktiver Teilnahme aller Gläubigen und zwischen hierarchischer und synodaler Kirche nicht zufriedenstellend geklärt. Woran mache ich dies fest? Zum einen zeigt sich das in den Texten sowohl der Konstitution „Lumen gentium“ als auch in den Texten der Würzburger und der Dresdner Synode als auch in diözesanen Vereinbarungen. Ein wichtiges Kriterium für die Frage, ob ein Problem gelöst ist oder nicht, ist die Einheit. Wenn eine Lehre die Einheit gefährdet und zu untragbaren Spannungen führt, wie wir sie in unserer Kirche – nicht nur in Deutschland – derzeit haben, können wir ein Problem nicht als gelöst betrachten. Einheit bedeutet nicht Uniformität. Aber sie bedeutet, dass man

Meines Erachtens  ist beispielsweise das Verhältnis von Amt und Teilhabe beziehungsweise aktiver Teilnahme aller Gläubigen und zwischen hierarchischer und synodaler Kirche nicht zufriedenstellend geklärt.

  • im Frieden und in guter Beziehung sachlich diskutieren kann
  • gemeinsam erkennt, wenn man ein Thema nicht weiterbearbeiten kann, und gemeinsam anerkennt, dass man es deshalb besser ruhen lässt
  • sich ermutig und Ängste überwindet, um entschieden voranzugehen, wo man sich bisher vor Entscheidungen gedrückt hat
  • miteinander aushält, wenn es unterschiedliche Positionen gibt
  • gemeinsam zweifeln lernt, wo man die eigene Meinung und Position nicht mehr hinterfragt.

Als Kirche können wir bezüglich der Einheit in der Vielfalt besser werden. Dazu muss die Überzeugung stark gemacht werden:  „Deus semper major.“ Gott ist immer größer. Dieses Wort des hl. Ignatius von Loyola weist in die richtige Richtung. Denn dieser Gott ist es, der eint. Ein großer Knackpunkt ist die Vorstellung, es dürfe keine Vielfalt geben. Das gilt sicher für die Aussagen des Glaubensbekenntnisses, die uns einen. Aber in Bezug auf moralische Werte und Wertungen ist Differenzierung geboten, besonders dann, wenn es um die Einstellung zu einem konkreten Menschen geht. Nicht umsonst berufen sich politische Gruppierungen, die eher die Uniformität bis ins Detail suchen und sich mit Diskurs und Vielfalt schwer tun, gerne auf jene Gruppen in der Katholischen Kirche, die sich ebenfalls Uniformität wünschen. Als Kirche müssen wir uns wehren, wenn politische oder religiöse Gruppierungen sich auf uns berufen und damit diskriminierende Aussagen und Handlungen rechtfertigen.

Ein großer Knackpunkt ist die Vorstellung, es dürfe keine Vielfalt geben.

Ein weiterer großer Knackpunkt in unserer gegenwärtigen Situation ist die Vermessenheit sowie, damit einhergehend, die mangelnde Demut. Vermessen und maßlos sind einige Forderungen, die weder mit der aktuellen gesellschaftlichen Situation, noch mit der kirchlichen Wirklichkeit kompatibel sind. Vermessen ist der Anspruch auf Macht und Autorität, der nicht nach den tatsächlichen Ressourcen – Fähigkeit, Zeit, etc. – fragt und die Kontingenz als Wesensmerkmal alles Geschaffenen, auch des Menschen, missachtet. Vermessen ist die Vorstellung, mit geringeren personellen Ressourcen alles aufrechterhalten zu können. Vermessen ist die Behauptung, mit Aktionen und Kampagnen könnte Kirche Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

Ein weiterer Knackpunkt ist, dass wir Macht oft exklusiv an Positionen und Ämter binden. Gerade in den 80er und 90er Jahren habe ich Gemeindereferentinnen kennengelernt, die Leitungsaufgaben wahrnahmen, ohne dafür formal die Position zu haben. Und ich erlebe Menschen, die Leitungspositionen innehaben, aber weder leiten noch führen. Der Aspekt, Leitung nicht exklusiv an Position zu binden, muss zusammengedacht werden mit den Bemühungen, Ämter und Positionen geschlechterunabhängig allen Menschen, die dazu berufen sind, zu öffnen. Zugleich relativiert das Zusammendenken beider Perspektiven die Diskussionen über und den Kampf um Positionen.

Ein weiterer Knackpunkt ist, dass wir Macht oft exklusiv an Positionen und Ämter binden.

Wie notwendige Veränderungen konstruktiv gestaltet werden können

Ermutigen möchte ich, sich die Wirklichkeit anzusehen. Dazu gehört es, dass Katholik:innen sich darüber austauschen, welche Aspekte der Wirklichkeit sie sehen. Die Realität ist so komplex, dass es bereits das Miteinander braucht, um die Wirklichkeit möglichst umfassend und korrekt kennenzulernen. Dazu gehört auch die innere Freiheit. Wer Blickwinkel und Argumente verkürzt, um seine vorgefasste Meinung durchzusetzen, ist gefangen und befangen. Beispielsweise leben wir in einer „alternden Gesellschaft“. Als Kirche haben wir in dieser Wirklichkeit die Pflicht, die Menschen zu begleiten und sie zu erinnern: Die letzten Jahre des Lebens sind ebenso wichtig – unter anderem für die Gottesbeziehung – wie die ersten. Auch möchte ich gerade in Krisenzeiten, in denen man nicht weit nach vorne schauen kann, zu Experimenten ermutigen und sie unterstützen. Bei alledem ist es wichtig, dass wir uns und unser Tun am Abend jedes Tages selbst reflektieren und Gott für das Gelungene danken und ihm und seiner Barmherzigkeit das Misslungene anvertrauen. Denn jenseits der nicht zu unterschätzenden Bedeutung von Gemeinde-, Gruppen- und Netzwerkbildung ist letztendlich der einzelne Mensch verantwortlich für das, was er tut. Er kann niemals gegen sein Gewissen handeln, selbst wenn er sich dabei auf die Kirche beruft. Kirche muss mehr zur Gewissensbildung des einzelnen Menschen beitragen und weniger sich mit Reglementierungen befassen, die dem einzelnen Menschen die Verantwortung abzunehmen scheinen. Um dieses Gewissen zu bilden, braucht es möglichst viel Wissen. Dies beinhaltet auch, möglichst viele Aspekte zu einem Thema zur Kenntnis zu nehmen.

Kirche muss mehr zur Gewissensbildung des einzelnen Menschen beitragen und weniger sich mit Reglementierungen befassen, die dem einzelnen Menschen die Verantwortung abzunehmen scheinen.

Wie sich die Kirche weiterentwickeln wird

Die Kirche (in Deutschland) muss systemisch so aufgestellt werden, dass sie nicht ohne Gott auskommen kann. Diese Prämisse, die ich u.a. aufgrund der historisch gewachsenen engen Bindungen zwischen Kirche und Staat mit ihren Chancen und Risiken voranstelle, prägt dann mein Zukunftsbild von Kirche. Mag es teilweise ein Wunschbild sein und bleiben. Ich bin überzeugt, dass wir die Kraft dazu hätten, uns dem in der Wirklichkeit zu nähern, wenn wir es denn wollten.

Die Auflösung von überkommenen Strukturen und die Befreiung von Verpflichtungen, die überfordern, werden zu einer Lösung von Problemen führen, die wir als Kirche seit Jahrzehnten und Jahrhunderten als Ballast tragen. Vor allem werden wir klaren gemeinsamen Beratungs- und Entscheidungsprozessen folgen, die begleitet werden von Unterscheidungsprozessen. Diese werden weniger von Ideologie und mehr von Spiritualität geleitet werden. Der Glaube an das Wirken des Heiligen Geistes in allen Getauften wird stärker sein als die Angst vor der Auseinandersetzung. Gemeinsame Suche nach Antworten auf die Fragen unserer Zeit wird die teils zu wenig von Geist und Vernunft geleiteten Debatten ablösen. Befugnisse und Verantwortung in der Kirche werden in eine Balance gebracht, um den Dienst der Verkündigung effizient und verantwortungsbewusst ausüben zu können. Ich gehe davon aus, dass wir eine Kirche sein werden, die mehr von Gott als von sich selbst reden wird; die Jesus Christus Stimme und Hand in dieser Welt schenkt, ihn darstellt und nicht sich selbst.

Die Auflösung von überkommenen Strukturen und die Befreiung von Verpflichtungen, die überfordern, werden zu einer Lösung von Problemen führen, die wir als Kirche seit Jahrzehnten und Jahrhunderten als Ballast tragen.

Auch muss die Kirche verstärkt lernen, sich je nach Ziel mit Gruppierungen zu vernetzen, die ebenfalls dieses Ziel verfolgen, auch dann, wenn diese nicht die religiöse Überzeugung teilen. An der Stelle einer engen Verbindung mit dem Staat wird es verstärkt wechselnde und in den Zielen begründete Bündnisse geben.

Weshalb ich dabei bin und bleibe

Zu meiner Ordensprofess hatte ich das Wort des Herrn gewählt „Sag nicht, ich bin noch zu jung.“ (Jeremia 1,7). Diese Auswahl hatte sicher den Sitz in meinem Leben, war ich doch erst 19 Jahre alt, als ich versprach, in der Ordensgemeinschaft nach den Evangelischen Räten leben zu wollen. Im Laufe meines Lebens hat sich die Bedeutung dieses Schriftwortes geweitet: Such nicht Gründe, um dich dem Herrn zu verweigern. Dieser will durch uns Menschen in dieser Welt gegenwärtig sein, in guten und in schwierigen Zeiten. Diese Treue Gottes auch in unserer sündhaften Kirche darzustellen, sehe ich als Auftrag. Mein aktuelles Engagement zurücknehmen würde ich, wenn Krankheit dies erfordert oder wenn der Bischof mich aus dem Amt entlässt. Mein Leben als Ordenschrist in dieser Kirche möchte ich mit meinem letzten Atemzug beenden. Da ich sehr in der Gegenwart lebe, habe ich mir über Formen des Rückzugs keine Gedanken gemacht.

Mein Leben als Ordenschrist in dieser Kirche möchte ich mit meinem letzten Atemzug beenden.

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