022015

Foto: vredeseilanden/Jelle Goossens: 20141210 Supermarkt Colruyt-6195 (CC BY-NC 2.0), Bildausschnitt, Bildretusche

Konzept

Dieter Pohl

Relevanz und Mehrwert – Kirche auf dem Markt?!

Seit alters her ist der Marktplatz der für den Tausch und den Handel von Waren und Dienstleistungen vorgesehene Platz. Angebot und Nachfrage, Kaufpreis und Kaufbereitschaft regulieren sich hier gegenseitig. Auf dem Markt wird getestet, was ein Angebot wert ist. Die Relevanz des Angebotes wird augenfällig, auch sein Mehrwert für die Bewältigung des Alltags.

Der Markt von Athen

Der frühchristliche Nachrichtenschreiber Lukas führt uns auf so einen Marktplatz: Es ist einer der berühmtesten Marktplätze der damaligen Welt, der Areopag der Olympiastadt Athen.

Hier hat sich etwa  500 Jahre vor Lukas der berühmte Philosoph Sokrates aufgehalten. Hier stellte er seinen Zeitgenossen Fragen und brachte sie zum Nachdenken. Am liebsten fragte er nach dem Unbekannten, nach dem, was sie nicht wussten und verunsicherte sie damit. So wurde der Areopag in Athen zum Marktplatz nicht nur der Waren und Dienstleistungen, sondern auch der Weltanschauungen. Epikureer und Stoiker, Philosophen und Religionsvertreter diskutierten hier.

Wäre dies auch heutzutage reizvoll: ein Marktplatz des Glaubens, auf dem nicht nur Katholiken und Evangelische, sondern auch Juden und Muslime, Hindus und Buddhisten miteinander diskutierten, ja nicht nur die alten Religionen, sondern auch neuere Richtungen z.B. Bahai-Anhänger und esoterisch Gesonnene,  Ausgetretene und Kirchenmitglieder, atheistisch oder theistisch Glaubende miteinander redeten?

Kirche ist längst auf den Markt gekommen!

Kirche ist längst auf den Markt gekommen!

Paulus auf dem Markt

Viele kirchentreue Christen haben es offenbar noch nicht gemerkt, sitzen in ihren Kirchen und überlegen krampfhaft, wie sie die Anderen bewegen könnten, zu ihnen zu kommen – damit sie den Heimvorteil genießen? Statt schlicht zu ihnen zu gehen und mit ihnen zu reden.

Hier die Markterzählung  aus der ersten Geschichte der urchristlichen Bewegung [Apg 17,16-28.32-34]:

“Als aber Paulus in Athen auf seine Mitarbeiter wartete, ergrimmte sein Geist in ihm, als er die Stadt voller Götzenbilder sah. Und er redete zu den Juden und den Gottesfürchtigen in der Synagoge und täglich auf dem Markt zu denen, die sich einfanden. Einige Philosophen aber, Epikureer und Stoiker, stritten mit ihm. Und einige von ihnen sprachen: Was will dieser Schwätzer sagen? Andere aber: Es sieht so aus, als wolle er fremde Götter verkündigen. Er hatte ihnen nämlich das Evangelium von Jesus und von der Auferstehung verkündigt. Sie nahmen ihn aber mit und führten ihn auf den Areopag und sprachen: Können wir erfahren, was das für eine neue Lehre ist, die du lehrst? Denn du bringst etwas Neues vor unsere Ohren; nun wollen wir gerne wissen, was das ist. Alle Athener nämlich, auch die Fremden, die bei ihnen wohnten, hatten nichts anderes im Sinn, als etwas Neues zu sagen oder zu hören. Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt. Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir. Als sie von diese Botschaft hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören. So ging Paulus von ihnen. Einige Männer schlossen sich ihm an.”

Schon Paulus geht auf den Markt: Die Frage nach dem Unbekannten befördert das, was er auf den Markt bringen will: die Frage nach Gott.

Es sind mehrere Züge, die mich an dieser Marktschilderung beeindrucken:

Der Autor dieser Mustergeschichte verheizt seine Hauptfigur nicht. Er betreibt kein Marketing auf Kosten der Mitarbeitenden. Es geht nicht los nach dem Motto: Jetzt mal flugs auf den Markt und dort fleißig vom Glauben geredet. Es geht los in der Synagoge.

Paulus geht feiertags in die Synagoge, wochentags auf den Markt. Er gönnt sich den Sonntag – damals Sabbat –, das Gebet, die Ruhe, die Besinnung, das Gespräch mit den Seinen.

Man kann nicht jeden Tag auf dem Markt sein. Da wäre man bald ausgebrannt, missmutig, launisch, evtl. sogar depressiv. Umgekehrt kann man nicht jeden Tag in der Kirche oder im Gemeindehaus sein. Dort kriegt man vom Glauben zwar Einiges mit, aber gleichzeitig wird man zum Sonderling, weltfremd, eindimensional, pessimistisch.

Wochentags geht Paulus auf den Markt. Ich staune wie clever er das anstellt, dass die Sprache auf den Glauben kommt. Das ist fast schon werbepsychologisch durchtrieben: Er macht sich erst mal auf den Weg durch die Stadt. Er will wohl ein Stück vom Leben und vom Lebensgefühl der Athener mitkriegen. Bei dieser Besichtigungstour fällt ihm ein kulturhistorisches Denkmal auf, eine Art Altar mit der Aufschrift: dem unbekannten Gott.Die Sorgen und Fragen der Menschen

Sokrates lässt grüßen! Hier ist sie wieder: die Frage nach dem Unbekannten. Wenn Glaube und Wissen nicht zur Ideologie, zum geschlossenen Weltbild verkommen sollen, braucht es mindestens eine offene Stelle: das Unbekannte, das, was nicht gewusst wird, damit wir weiter fragen, unterwegs sind, nicht fertig und abgeschlossen. Diese Frage nach dem Unbekannten, diese Neugier haben sich die Athener erhalten. Das ist sogar sprichwörtlich für sie geworden. Und das greift Paulus auf.

Die Frage nach dem Unbekannten befördert das, was er auf den Markt bringen will: die Frage nach Gott. Menschen fragen nach Gott  –  in vielen Formen:

  • Sie fragen nach dem Woher und Wohin des Lebens.
  • Sie fragen nach der Zukunft und Einheit der Menschheit, z.Zt. nach der Zukunft Europas und des Euro.
  • Sie fragen nach, wenn sie leiden und sterben.
  • Sie fragen nach dem Nirwana und dem erlösten Leben.
  • Sie glauben an Geister, Engel, an die Seelenwanderung.
  • Sie spekulieren, wie oft sie schon gelebt haben.
  • Sie lesen Horoskope, sie pendeln und rücken Gläser.
  • Sie wechseln die Konfession, die Religion, den Arzt und den Therapeuten.
  • Sie gründen Sekten und religiöse Gemeinschaften und vermachen ihnen ihr Vermögen.
  • Sie fragen und forschen, ob auf dem Mars Leben ist.

Es wimmelt von Fragen, denen der Horizont unseres Alltags nicht mehr ausreicht, die ihn durchbrechen wollen. Es steckt eine ungeheure Energie und Faszination drin.

„Er, Gott, ist nicht ferne von einem jeden von uns“: Bei Gott gibt es keine Vorsprünge und keine hinteren Reihen.

… und Paulus

Paulus bringt es auf den Punkt: Sie fragen nach Gott!

Und er vermittelt ihnen dabei nicht: Das ist falsch und defizitär. Er nimmt sie ernst. Wer ernstgenommen wird, wird zum Gesprächspartner, zur Gesprächspartnerin.

Paulus nimmt auch nicht die Haltung ein: Ich habe es schon gefunden, ihr müsst es noch suchen. Er verzichtet auf alle Vorsprünge. Er geht mit auf den Weg. Auf diesem Weg bringt er eine Entfernungsangabe und eine Wegmarke ein:

Die Entfernungsangabe:  „Er, Gott, ist nicht ferne von einem jeden von uns“

Damit nimmt er dem religiösen Suchen und Fragen, der religiösen Anstrengung die Hektik, die Ungewissheit und den Stress. Bei Gott gibt es keine Vorsprünge und keine hinteren Reihen.

Die Wegmarke oder der Orientierungspunkt: Der Mann aus Nazareth: Jesus

  • Wer wissen will, wie Gott zu ihm steht, der schaue ruhig die Sterne an und die Aussagen der Weltanschauungen, aber auch, wie Jesus Menschen begegnete und vergleiche: Vielleicht kommt er oder sie einen Schritt weiter.
  • Wer wissen will, wie Gott sich zum Leiden, zu all den negativen Dingen des Lebens verhält, der schaue sich um in den Sinnangeboten. Sie oder er schaue sich bitte aber auch den gefolterten Mann, der da am Kreuz hängt, an! Vielleicht gibt dies neue Einblicke.
  • Und wer wissen will, wie Gott zum Tod steht, der schaue sich um in den Totenbüchern und den Totenwelten der Religionen. Sie oder er schaue sich aber auch den Galiläer an, von dem es heißt, dass Gott ihn aus dem Tod geholt hat. Das ist zwar unbegreiflich, weil unvergleichlich. Aber vielleicht schließt dies ein Stück vom Geheimnis des Lebens auf.

Der alte Erzähler Lukas lässt seine Hauptfigur Paulus keine Seife verkaufen. Das wäre einfach: Das Portemonnaie wäre schnell gezückt, die Seife eingepackt, und fertig wäre man mit dem Angebot. Lukas lässt Paulus Glaubensprovokation verkaufen: Denksprengstoff, Lebensmotivation.

Der Gekreuzigte als Bezugspunkt, der Leben eröffnet: Lukas lässt Paulus Glaubensprovokation verkaufen, Denksprengstoff, Lebensmotivation.

Das bringt in Bewegung! Die Einen fangen an, zu spotten. Die Anderen vertagen ihre Meinungsfindung erst einmal. Und Einige fangen an, Neues zu entdecken, sich auf den Weg zu machen.

Keiner und Keine bleibt unberührt, bewegungslos. So ist es auf dem Markt!

… und wir

Kirche auf dem Markt? – Sie ist schon längst auf dem Markt und lernt, sich gegenüber der Konkurrenz zu behaupten.

Welche Relevanz hat dieser Denksprengstoff? – Er lässt uns nicht in der vordergründigen Alltagssorge versinken! Er durchbricht und erweitert unsere Wirklichkeitswahrnehmung!

Und welchen Mehrwert hat diese Lebensmotivation? Sie lässt sich nicht von Problemen beherrschen. Sie sieht immer noch eine Möglichkeit, den Problemhorizont zu durchbrechen.

 

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