22018

Foto: Kristian Egelund/Unsplash

Statements

Barbara Hucht

Ja, Kirche braucht Profis! – Erfahrungsbericht einer Gemeindereferentin 

Der Artikel von Valentin Dessoy „Kirche braucht Profis, aber keine Gemeindereferenten“ in der Zeitschrift „das magazin“ des Bundesverbandes der Gemeindereferentinnen im vierten Quartal 2017 hat unterschiedliches Echo ausgelöst. Von Unverständnis und „so ein Quatsch“ über „da könnte was dran sein“ bis zu Begeisterung und „ja, in diese Richtung müsste es in Kirche gehen“, habe ich alles gehört.  

Dessoy vertritt die These, dass es in Zukunft nicht nur Seelsorger brauche, die Menschen dabei begleiten, Kirche vor Ort auf ihre je eigene Weise zu leben und zu verantworten, sondern auch Spezialisten, die systemrelevante Prozesse professionell unterstützen und begleiten können. Dies setze eine veränderte Rollenarchitektur voraus, die unabhängig von den alten Berufsgruppen sei. 

Ich selbst, zum Erscheinungszeitpunkt des Artikels seit fast dreißig Jahren als Gemeindereferentin im Erzbistum Paderborn tätig und dort auch seit zwei Jahren als Kirchliche Organisationsberaterin unterwegs, teile die Begeisterung über Valentin Dessoys Gedanken zur veränderten Rollenarchitektur. Schließlich habe ich alle beschriebenen Entwicklungen am eigenen Leib selbst erfahren. 

Ich war Profi in allen pastoralen Fragen, eine Allrounderin sozusagen, und im operativen Geschäft voll aktiv.

Ende der 80er Jahre zur Gemeindereferentin ausgebildet, ging ich 1990 in die pastorale Praxis. Im ländlichen Bereich (3 kleine Dorfgemeinden) verantwortete ich gemeinsam mit den beiden Priestern vor Ort alle pastoralen Felder. Das Bild von der „Pfarrfamilie“ funktionierte noch recht gut. Durch die Überschaubarkeit des gemeindlichen Systems tauchten Fragen zu Abläufen und Prozessen kaum auf. Ich war in allen Gruppen präsent, mit den wichtigen Leuten im Kontakt – der Pfarrer und ich hatten alles im Blick und alles unter Kontrolle. Ich war Profi in allen pastoralen Fragen, eine Allrounderin sozusagen, und im operativen Geschäft voll aktiv. Als solche war ich auch angefragt, oftmals begegnete mir die Äußerung: „Sie müssen das doch wissen! Sie haben das doch studiert!“ Ich stand in der ersten Reihe und zog, so muss ich zugeben, auch meine Anerkennung daraus. Auch diese Sätze habe ich gehört und genossen: „Sie haben das (Gottesdienst, Katechese, Erstkommunionwochenende,…) aber gut gemacht!“ oder „Machen Sie das lieber – wir können das nicht so gut!“ 

Fast zwanzig Jahre lang haben wir so gearbeitet. Auch als die pastoralen Verbünde größer wurden, haben wir mit mehr vom Gleichen versucht, unser Arbeiten zu optimieren und irgendwie handhabbar zu halten. Gruppen und Konzeptionen wurden zusammengeführt, Verwaltung wurde zentralisiert, viel Engagement wurde darauf verwendet, das Gemeinschaftsgefühl – das „Wir-Gefühl“ im und für den Pastoralverbund zu stärken. Hier und da gelang es auch gut, Ehrenamtliche in Verantwortung zu bringen für pastorale Teilbereiche, aber es hatte immer ein bisschen den Beigeschmack des Lückenbüßers, weil „die Hauptamtlichen das jetzt nicht mehr machen können“. Das alles wurde auch getan, damit der Pfarrer und das Pastoralteam die Abläufe, die Kommunikation und die Entscheidungen unter Kontrolle halten konnten. Eine ganz schön anstrengende Zeit.

Als die pastoralen Verbünde größer wurden, haben wir mehr vom Gleichen versucht.

2012 ging dann der große Pastorale Raum an den Start – 2 Stadt- und 12 Dorfgemeinden, die alle zu einer Kommune gehören. Es war allen klar, dass es nicht so weitergehen konnte wie bisher. Im neu besetzten Pastoralteam stellten wir uns auch neu auf – nicht mehr territorial den Pfarrgemeinden zugeordnet, sondern kategorial und somit spezialisiert für ein pastorales Feld (Familie, Jugend, Soziales, Kultur, Glauben und Leben, Prozess zum Pastoralen Raum) im Pastoralen Raum. Im Erzbistum Paderborn waren wir übrigens der erste Pastorale Raum, in dem sich das Pastoralteam konsequent kategorial aufgestellt hat. Die Mitglieder des Teams konnten sich jetzt nach ihren Fähigkeiten in einem pastoralen Feld spezialisieren. Es musste nicht mehr jeder alles können. Ich glaube, dass wir damals einen Schritt in die richtige Richtung gemacht haben. 

Trotzdem verschärfte die Komplexität des Pastoralen Raumes (u.a. seine Größe, Unüberschaubarkeit und die Notwendigkeit von Selbstorganisation vor Ort), die ja noch einmal deutlich zugenommen hatte, die Situation erheblich. Auch die Neuaufstellung des Teams war eine große Irritation für alle Beteiligten.  

Die Menschen in den Pfarrgemeinden vor Ort und die Mitglieder der Gremien konnten sich an diese neue Zuordnung der Hauptamtlichen nur schwer gewöhnen. Fragen und Aussagen wie: “Welcher Priester ist denn jetzt für unsere Gemeinde zuständig?”, “Warum müssen wir denn jetzt bis in die Stadt zum Zentralbüro fahren?”, “Ich kenne ja die Priester gar nicht mehr und die kennen mich auch nicht mehr!”, “Was dürfen wir denn jetzt allein entscheiden und was nicht?” waren anfangs an der Tagesordnung.  

Und auch der leitende Pfarrer und die Mitglieder des Pastoralteams mussten in ihre neue Rolle hineinwachsen und für sich und mit anderen klären, was es heißt, zuständig zu sein für ein pastorales Feld im großen Pastoralen Raum. Das bedeutete u.a., nicht mehr in allen Gruppen und Gremien dabei sein zu können, neue Formen der Kommunikation zu finden, Ehrenamtliche deutlich mehr in die Verantwortung zu setzen und deren Selbstorganisation zu stärken, selbst deutlicher in den Schulungs- und Begleitungsmodus  zu gehen und damit weniger im operativen Geschäft zu stehen und sich bei Fragen aus den Pfarrgemeinden nicht in die Bereiche der anderen einzumischen. Es war nicht einfach, mit dem auf allen Ebenen entstehenden Kontrollverlust umzugehen. 

Zu diesem Zeitpunkt stand also eine deutliche Rollenveränderung an. Besonders intensiv, weil so lange anders eingeübt und so existentiell bedeutsam, war der Wechsel von „Ich mache selbst!“ zu „Ich ermögliche, befähige und unterstütze so, dass andere es können und selbständig tun!“. Das hieß ganz konkret, dass die Hauptamtlichen ihre Kompetenzen und Ressourcen deutlich weniger in das operative Geschäft („Ich gestalte selbst den Kita-Gottesdienst!“) einsetzten, sondern immer mehr in den Bereich der Ermöglichung, Befähigung und Schulung von Ehrenamtlichen („Ich begleite die Erzieherinnen dahin, dass sie den Kita-Gottesdienst leiten können!“). Ein ganz persönlicher Entwicklungsprozess jedes Einzelnen, da die eigene Anerkennung jetzt u.a. daraus zu ziehen war, dass die von mir befähigten Menschen ihren Dienst gut tun können. Und ein nicht einfacher Prozess bei den Beteiligten, da auch sie in eine neue Rolle hineingehen mussten. Dieser Weg war anstrengend, z.T. widerständig und ist auch nicht überall gleich gut gelungen. Hier braucht es langen Atem, eine gute Vertrauensbasis und den Willen und die Bereitschaft für Veränderung auf beiden Seiten.

Ein ganz persönlicher Entwicklungsprozess jedes Einzelnen, da die eigene Anerkennung jetzt u.a. daraus zu ziehen war, dass die von mir befähigten Menschen ihren Dienst gut tun können.

Nach und nach traten noch ganz andere Anforderungen zu Tage:  

Deutlich wurde, dass der massive Veränderungsprozess vergleichbar ist mit einem Trauerprozess. Dieser will begleitet werden, auf Ebene der Menschen vor Ort, in den Gremien und Gruppen, im Pastoralteam selbst und in jedem einzelnen Haupt- und Ehrenamtlichen. Wenn die Bearbeitung der Trauer gelingt, kann miteinander eine neue Form der Zusammenarbeit vereinbart werden. Wenn die Trauer unbearbeitet bleibt, bleiben Menschen in ihren Widerständen stecken oder verabschieden sich ganz. Beides haben wir erlebt. 

Durch die ganz andere Dynamik im Pastoralen Raum ergeben sich neue pastorale und soziale Themenstellungen, die anders als bisher angeschaut werden müssen. Netzwerkarbeit im Sozialraum ist ein Ansatz, der sich hier nahelegt. Dabei ist die Netzwerkbildung mit anderen relevanten Partner*innen gerade auch außerhalb der binnenkirchlichen Struktur zu bedenken. 

Die Frage nach den Zuständigkeiten stellt sich massiver. Hier gilt es, die Abläufe, Prozesse und Delegationen im Pastoralen Raum mit den Beteiligten konsequent auszuhandeln und transparent zu beschreiben. Die Frage, wer wann wie beteiligt sein muss, ist permanent zu stellen. Schwierig wird es dann, wenn vereinbarte Zuständigkeiten nicht genommen werden. Hier bedarf es einer sensiblen nachgehenden Führung. Damit verbunden müssen die Kommunikationswege nach innen und nach außen transparent gestaltet sein.   

Auch die Arbeitsweise insgesamt verändert sich massiv. Die Dauer- bzw. Standardaufgaben werden weniger, dafür vermehrt sich das Denken in Projekten, die gemanagt werden müssen. Dafür braucht es die Spezialisierung im Projektmanagement. 

Durch das veränderte Rollenprofil verändern sich auch die Formen von Führung und Leitung.

Durch das veränderte Rollenprofil verändern sich auch die Formen von Führung und Leitung. Referatsleiter*innen müssen eigenverantwortlich handeln und in ihrem Bereich Führung übernehmen. Gleichzeitig braucht es eine Verhältnisbestimmung von Referats- zur Gesamtleitung des leitenden Pfarrers.  

Auf diese Vielzahl von Anforderungen musste jedes Teammitglied in seinem kategorialen Feld weiterhin allein reagieren. Es wurde erst einmal vorausgesetzt, dass jede*r seinen Bereich eigenständig führen kann und mit den Anforderungen (inhaltlicher und prozesshafter Art) fertig wird. Die Kompetenzen, mit den Anforderungen adäquat umzugehen, waren bei den einzelnen Teammitgliedern unterschiedlich weit ausgeprägt. Das führte dann auch dazu, dass in den einzelnen pastoralen Feldern sehr unterschiedlich gearbeitet wurde, es gab z.B. Lücken in der inhaltlichen Ausgestaltung und in der Kommunikation und auch Überforderungstendenzen bei einzelnen Teammitgliedern. Das gemeinsame Dienstgespräch bot neben vielen organisatorischen Klärungen auch immer die Möglichkeit des Austausches. Hin und wieder konnte hier auch kollegiale Beratung gelingen, wenn die einzelnen Teammitglieder ihre Kompetenzen im Bereich von z.B. Theologie, Religionspädagogik, Konzeptentwicklung, geistlicher Begleitung und Organisationsentwicklung eingebracht haben. Insgesamt wurden die Instrumente der Mitarbeiterführung (Dienstgespräch, Mitarbeitergespräche) zu wenig für die Weiterentwicklung des Teams und der jeweiligen Rollenausgestaltung genutzt. Daher blieben die Arbeit im Pastoralen Raum und die Zusammenarbeit im Team an manchen Stellen unbefriedigend. 

Und jetzt bin ich wieder bei Valentin Dessoy. Gemeinsam mit ihm vertrete ich, dass es eine veränderte Rollenarchitektur in Form von Spezialisierungen braucht, um der Komplexität der pastoralen Arbeit zu begegnen und um systemrelevante Prozesse zu unterstützen. 

Mit Blick auf das Team im Pastoralen Raum wäre es sehr hilfreich, wenn es neben den kategorialen, pastoralen Spezialisierungen auch Spezialisierungen in Bezug auf Prozess- und Organisationsentwicklung geben würde, um den oben ausgeführten Anforderungen begegnen zu können. So könnten sich die Teammitglieder gegenseitig unterstützen, indem sie sich kollegial beraten, phasenweise gemeinsam in Prozesse hineingehen oder sich so vernetzen, dass sie sogar einzelne Prozessphasen komplett an die Kolleg*innen abgeben. Wenn sich die Hauptamtlichen in Zukunft noch deutlicher aus dem operativen Geschäft vor Ort zurückziehen, dann müssen sie für Ehrenamtliche nicht nur in pastoralen Fragen, sondern gerade auch in Fragen zu Prozess- und Organisationsentwicklung ansprechbar sein.  

Dazu ein paar mögliche Beispiele: 

  • Konzeptentwicklung: Der zuständige Referent für Jugendarbeit soll ein Konzept für die Offene Jugendarbeit entwickeln. Er holt sich seine Kollegin ins Boot, die in Konzeptentwicklung kompetent ist. 
  • Neue Themen im Sozialraum aufnehmen: Der zuständige Referent für Soziales will sich ins Netzwerk „Flüchtlingsarbeit“ auf Stadtebene einbringen. Er tauscht sich mit der Kollegin aus, die sich im Bereich Netzwerkarbeit fortgebildet hat. 
  • Organisationsentwicklung im Bereich ehrenamtlicher Aufgaben: Der Kirchenvorstand vor Ort will für die Erledigung seiner vielfältigen Aufgaben kleine Teams bilden. Er braucht Unterstützung bei der Klärung der Kommunikations- und Delegationsstruktur. Ein Hauptamtlicher (nicht der leitende Pfarrer) begleitet und moderiert drei Klärungstreffen. 
  • Unterstützung durch flexibel eingesetztes spezialisiertes Knowhow: Der leitende Pfarrer bittet ein Mitglied des Pastoralteams, die Sitzung des Finanzausschusses zu moderieren, damit er frei ist, um die inhaltlichen Themen einspielen zu können. 
  • Fachberatung und Vernetzung: Drei Frauen aus einem Dorf möchten sich im Bereich von Familienpastoral in ihrem Ort engagieren. Die zuständige Referentin für Familie unterstützt diese Frauen in der Klärung ihres Anliegens, schult sie bis zur Selbstorganisation und vernetzt sie mit anderen Partner*innen im Bereich Familie im Pastoralen Raum. 
  • Trauerbegleitung: Ein kfd-Ortsverband kämpft ums Überleben. Die Kollegin mit der Zusatzausbildung zur geistlichen Begleiterin begleitet diese kfd-Gruppe im Trauer- und Sterbeprozess. 

Schritte in die Richtung zu einem so erweiterten Rollenverständnis, setzen voraus, dass Hauptamtliche bereit sind, sich weiterzuentwickeln. Dazu gehören die kontinuierliche Fortbildung, um neue Kompetenzen zu erlangen und die Bereitschaft, neue Rollen einzunehmen. Um die eigene Rollenidentität ausformen und den Gegebenheiten anpassen zu können, braucht es neue Rollenvorbilder, die noch zu entwickeln sind.  

Schritte in die Richtung zu einem so erweiterten Rollenverständnis, setzen voraus, dass Hauptamtliche bereit sind, sich weiterzuentwickeln.

Weiter muss daran gearbeitet werden, dass im Pastoralteam die Stärken und Kompetenzen der Einzelnen transparent sind und ihr Einsatz gemessen an diesen erfolgt. Im Umkehrschluss setzt das voraus, dass auch die Schwächen der Einzelnen besprechbar werden. Das Instrument des Mitarbeitergesprächs kann hier hilfreiche Impulse setzen. 

Um in den verschiedenen spezialisierten Rollen arbeiten zu können, ist es notwendig, dass Hauptamtliche ihre Arbeit offen und transparent zeigen, dass also Kontrolling und Evaluation Qualitätsstandards in der Pastoral werden. Erst dann können die genauen Bedarfe gehoben und pastorale Mitarbeiter*innen sehr flexibel mit ihren Kompetenzen in unterschiedlichen pastoralen und organisationalen Feldern eingesetzt werden. Die Haltung, dass alle zusammen am Ganzen arbeiten und für das Ganze die beste Lösung suchen, muss dazu deutlicher ausgebildet werden. Der Gewinn der Teamarbeit bestünde darin, dass auf die komplexen Anforderungen des Pastoralen Raumes mit differenziertem und spezialisiertem Personal reagiert werden könnte. 

Nicht zu unterschätzen sind die Denk- und Verhaltensmuster in unserer hierarchischen Kirche. Aufgegeben werden muss, dass z.B. Leitungspositionen nach Stand und nicht nach Kompetenz besetzt werden und dass unausgesprochene Hierarchien in Teams (Pfarrer, Priester, Gemeindereferent) wirkmächtig bleiben. Dieser „Standesdünkel“ verhindert ein Nachdenken über eine neue Rollenarchitektur.  

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass sich sowohl der persönliche Prozess zur eigenen Rollenfindung, der neuen eigenen Rolle, als auch die Prozesse im Team zur Rollenklärung und Rollendifferenzierung lohnen. In diesem Sinne: Ja, wir brauchen Profis! 

futur2 möglich machen

Hinter der futur2 steht ein Verein, in dem alle ehrenamtlich arbeiten.

Für nur 20 € pro Jahr machen Sie als Mitglied nicht nur die futur2 möglich, sondern werden auch Teil eines Netzwerks von Leuten, die an der Entwicklung von Kirche und Gesellschaft arbeiten.

» MEHR ERFAHREN