012017

Statements

Michael Dörnemann

Gelassen an die Veränderung gehen

Wie wird die Kirche der Zukunft aussehen? Wie muss sich die heutige Kirche wandeln, um auch morgen noch ihren Grundauftrag zu erfüllen?
Diese und ähnliche Fragen treiben viele um, denen die Kirche und die ihr anvertraute gute Nachricht am Herzen liegen. Sie werden gestellt von denen, die danach suchen, wie christlicher Glaube für sie selbst und ihre Zeitgenossen relevant sein kann. Auch kirchenleitende Gremien und Verantwortungsträger und -trägerinnen suchen nach Antworten auf diese Fragen.

Lange Zeit schien es so, als ob Individualität und Autonomie die wichtigsten Werte einer modernen Gesellschaft wären. Die individuellen Freiheitsgrade wuchsen nach dem Ende des 2. Weltkriegs kontinuierlich. Auch der Katholik, der Christ, der Mensch von heute möchte sich nach wie vor von keiner Institution vorschreiben lassen, wie er zu leben hat. Kirche wird von sehr vielen, vor allem von jungen Menschen, immer noch als Institution wahrgenommen, die vor allem Vorschriften macht in Bezug auf die eigene Lebensweise.

Doch Autonomie und Individualität sind aber längst nicht mehr die einzigen Werte. Anders als in den Jahrzehnten davor, sehnt sich so mancher heute nach Sicherheit, Ordnung und Gemeinschaft. Die Verhältnisbestimmung von Autonomie und gesellschaftlicher Orientierung, dem Individuum und seinem persönlichen Gestaltungsrahmen gegenüber einer Gemeinschaftsordnung ruft nach Neujustierung.

Es verwundert deshalb nicht, dass Kirche dort positiv erlebt wird, wo sie als eine Gemeinschaft erfahren wird, die Sinnorientierung ermöglicht und in besonderen Situationen des Lebens positiv erfahrene Angebote schafft, die diese Situationen deuten und bewältigen helfen, ggfls. feiern lässt. Angesichts von Freiheit wird auch die Frage nach Identität stärker, aber nach einer Identität, die nicht im großen Ganzen aufgeht, Persönliches und Individuelles einebnet, ja das „ICH“ neu in den Kontext des „WIR“ stellt.

In einer pluralen, komplexen und in allen Bereichen des Lebens professionell werdenden Welt, kann Führung zukünftig auch in Kirche nur transparent und partizipativ gestaltet sein.

Im Blick auf diese gesellschaftlichen Herausforderungen muss sich Kirche deshalb im Feld ihrer Kernkompetenz der Seelsorge „in allen ihren Facetten“ weiterentwickeln. Sie wird sich in immer neuer Weise der Botschaft und der Person Jesu stellen müssen und von ihm her lernen, den Menschen von heute zu sehen, ihm zu begegnen mit der Frage: Was willst Du, dass ich Dir tue? (Mk 10,51; Lk 18,41). Die Haltung, die hinter dieser Frage steht, muss Kirche mit allen ihren Gliedern vom Papst, über die Bischöfe, Priester, Diakone, Hauptberuflichen und ehrenamtlich Engagierten, nicht nur in der Einzelseelsorge praktizieren, sondern auch in Bezug auf Menschen im Ortsteil, in der Stadt, im Land, in Europa, ja weltweit. Noch mehr als heute wird Kirche ihren seelsorglichen Auftrag verstehen müssen als ganzheitliche Förderung des individuellen Menschen in seiner sozialen Wir-Bezogenheit. Seelsorge muss für sie Begegnung sein, die ein – auch punktuelles – persönliches Verhältnis schafft in allen Bereichen der kirchlichen Grundvollzüge: in der Glaubenskommunikation, im diakonischem Handeln mit Formen individuellen Tröstens, von Heilung, von Befreiung auch mit politischem Anspruch, in liturgischen Feiern, die das Christusmysterium erfahrbar werden lassen und in Gemeinschaftsformen, die dem Menschen gut tun und ihn bestärken in Glaube, Hoffnung und Liebe.

Aus ihrer vielfältigen Tradition und ihrer Geschichte besitzt die Kirche einen Schatz, den sie für die Weiterentwicklung gut nutzen kann, nicht um auf neue Fragen, alte Antworten zu geben, sondern um gelassen an die Veränderung von Strukturen zu gehen, die in den vergangenen 150 Jahren sicherlich gut waren, aber heute nicht mehr passen. „Liquid church“ ist hier das Stichwort.

Der hier angezielte Aktionsmodus: prozesshaft – auf dem Weg – dialogisch.

Wenn sich Kirche mit allen ihren Gliedern angesichts der Herausforderungen so weiterentwickelt, wird sich ihre hierarchische Gestalt verändern. Die Aufgabe des ganzen Volkes besteht darin, wie es die Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils in Nr. 44, 2 sagt, mit Hilfe des Heiligen Geistes die vielfältigen Sprachen unserer Zeit zu hören, zu unterscheiden und zu deuten. In einer pluralen, komplexen und in allen Bereichen des Lebens professionell werdenden Welt, kann Führung zukünftig auch in Kirche nur transparent und partizipativ gestaltet sein. Darum sind folgende wichtige Entscheidungen bezüglich eines solchen Seelsorgeverständnisses in den kommenden Jahren zu treffen:
  • Ermutigung, Stärkung und Qualifizierung von Getauften zum Dienst in der Seelsorge in ganz unterschiedlichen Professionen. Wo Christinnen und Christen, egal ob ehren- oder hauptamtlich als Volk Gottes miteinander nach Wegen suchen, Kirche zu sein, wirken sie zusammen, partizipativ und in aller Offenheit auf das zu erzielende Ergebnis hin. Der hier angezielte Aktionsmodus wird sich dann mit den drei folgenden Charakteristika beschreiben lassen: prozesshaft – auf dem Weg – dialogisch.
  • Wachsen lassen, Fördern und auch Erhalten von vielfältigen Orten, wo Menschen auf unterschiedliche Weise mit dem Evangelium in Berührung kommen und auch Hilfe in der Verarbeitung von lebensbiographischen Brüchen erfahren und aufatmen können.
  • Neuausrichtung der sakramentalen Grundstruktur der Kirche. Wir sind Christinnen und Christen prägen diese vielfältigen Formen der Kirche vor Ort. Wo auch immer sie leben und wirken, bilden die lokalen Initiativen und Kirchorte das größere WIR der Kirche und verstehen sich als ein Teil des Ganzen der katholischen Kirche. Unsere Projekte sind verbunden mit der ganzen Kirche, Ausdruck und Präsenz der Diözesankirche: sakramental. Das muss heute nicht zuletzt im Kontext der Ökumene geschehen.

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