012016

Foto: Redd Angelo via Unsplash

Konzept

Zukunftsinstitut

Fluide Organisationen: Durchlässig statt starr

Unternehmen sind keine geschlossenen Systeme, sondern wandeln ständig ihre Form. Diese neue Offenheit braucht klare Strukturen. Der folgende Artikel thematisiert fluide Organisationsformen. Er wurde uns freundlicher Weise vom Zukunftsinstitut zur Verfügung gestellt.

Eine der entscheidendsten Veränderungen der Wissensgesellschaft ist das Aufbrechen klassischer Strukturen und das Durchlässigwerden von Grenzen. Der zum Prosumenten emanzipierte Kunde ist nicht mehr nur Abnehmer eines Produktes, sondern zum Gestalter gereift. Und Firmen aus den unterschiedlichsten Branchen finden sich in Coopetition-Szenarien wieder, in denen selbst mit dem härtesten Wettbewerber projektorientiert eng zusammengearbeitet wird. Noch vor wenigen Jahren waren klare Trennlinien an der Tagesordnung, heute sind die Rollen immer stärker verschwommen.

Auch die scheinbar einfache Frage, wer eigentlich zur Belegschaft gehört, lässt sich nicht mehr so trivial beantworten. Zu vielschichtig sind inzwischen die Arten, in denen Arbeitsleistung erbracht wird: Kernbelegschaft; ausgegliederte Unternehmensteile; über Personalbereitsteller beschäftigte Mitarbeiter; Agenturen und Berater, die tief in die eigenen Geschäftsprozesse involviert sind; Partnerunternehmen, mit denen gemeinsam der Markt bearbeitet wird.

Arbeit ist grenzenlos

Als der Telekommunikationsanbieter Verizon von einem Kunden angesichts einer verdächtigen Datenleitung damit beauftragt wurde, einen Sicherheitscheck seiner Unternehmens-IT-Infrastruktur durchzuführen, stieß man auf ein überraschendes Ergebnis. Die Leitung nach Shenyang war nicht von chinesischen Hackern errichtet worden, sondern von einem mustergültigen Angestellten des Unternehmens selbst. Der in den Medien als „Bob“ bekannt gewordene Angestellte hätte als Software-Entwickler Programme schreiben sollen, fand jedoch in China ein Unternehmen, das seine Arbeit für ihn erledigen konnte. Bob überwies regelmäßig 20 Prozent seines Gehalts nach China, erschien dennoch jeden Tag im Büro – und vertrieb sich die Zeit mit Internet-Surfen.

Fallbeispiel
Auf der untersten Ebene der Wertschöpfung bieten Webseiten wie Amazon, Mechanical Turk, Clickworker oder oDesk eine Plattform zur Verhandlung von Angebot und Nachfrage für die Human Cloud. Dass es auch weniger taskbezogen, sondern sehr strukturiert geht, zeigt der Lebensversicherungsriese Aegon, der für die Kundenberatung am Telefon „on demand“ auf ein Netzwerk von 300 Mitarbeitern zugreift, die weltweit verstreut sitzen. Sie sind keine Aegon-Mitarbeiter, dennoch ausgebildet und geprüft und erhalten ihre Aufgaben anlassbezogen über eine Routing-Software zugeteilt. (Managing the Human Cloud. In: MIT Sloan Management Review, Winter 2013)

Selbst die Mauern um ehemals höchst geschützte Abteilungen in Unternehmen – wie Forschung und Innovation – werden absichtlich durchlässig gemacht, um die Öffentlichkeit durch Crowdfunding, Crowdsourcing oder schlichtweg durch offene Unternehmenskommunikation frühzeitig in Produktentwicklungen einzubeziehen. DiesesBeispiel beschreibt wohl den extremsten Fall von Outsourcing, der bekannt ist, aber es zeigt, dass Arbeit mittlerweile buchstäblich grenzenlos geworden ist: Sie lässt sich nicht durch die Wände des Büros eingrenzen, nicht durch Landesgrenzen und nicht durch Zeitzonen.

„Human Cloud“: Zukunft der Teamarbeit

Vergleichbar zum Cloud Computing entwickeln sich Unternehmen also auch in ihrer Organisationsform in Richtung dynamischer Modelle: Eine „Human Cloud“ erledigt Aufgaben als Heerschar von mehr oder weniger eng an das Unternehmen gebundenen Menschen in sehr unterschiedlichen Funktionen. Systemisch betrachtet sind Unternehmen keine abgeschlossenen Einheiten mehr, sondern organische Gebilde, die ihre Form und Größe je nach Aufgabenstellung und Marktlage überaus dynamisch verändern.

Die Vorstellung, dass Kooperation und Abläufe auf der Basis langfristiger, planbarer Strukturen entstehen, ist folglich ebenso ins Wanken geraten, wie sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass ausschließlich transaktionell orientierte, kurzfristige Bindungen, wie sie etwa durch glattes Outsourcing gekennzeichnet sind, auf Dauer nicht werthaltig genug sind.

Vom Schnittstellen- zum Beziehungsmanager

Leadership bedeutet daher künftig immer öfter, Grenzen und Barrieren innerhalb und am Rande des Unternehmens zu hinterfragen und Abläufe nicht abschnittsweise zu denken, sondern den Schritt von der Prozesskettenoptimierung zur interdisziplinären Zusammenarbeit zu machen. Denn an die Stelle der Wertschöpfungskette, in der eine Leistung von einem Akteur zum nächsten weitergereicht wird, tritt ein reichhaltig schillerndes Wertschöpfungsnetzwerk, in dem Leistungen gemeinsam entwickelt und erbracht werden und in dem sich die Rollen immer wieder verändern. Die Notwendigkeit, Strukturen zu optimieren und an ihren Schnittstellen für Klarheit und Ordnung zu sorgen, wird zumindest ergänzt – wenn nicht sogar ersetzt – um ein deutlich weniger formalisierbares Beziehungsmanagement, das sich zur Aufgabe macht, die unterschiedlichen Player lose gekoppelt und doch eng verbunden zu führen.

Eine Studie des Personalspezialisten Hays zeigt das mit Abstand deutlichste Charakteristikum von Wissensarbeit: Für 87 Prozent der befragten Personen erfordert ihre Tätigkeit die Zusammenarbeit und Vernetzung über Abteilungsgrenzen hinweg, 62 Prozent empfinden die Arbeit in Mixed Teams aus unternehmensinternen und -externen Kollegen als produktivitätsfördernd. Dazu gehört es etwa, Räume und Strukturen einzurichten, in denen zusammengearbeitet werden kann: Wie rasch gelingt es, ein gemischtes Team aus „eigenen“ Mitarbeitern und Netzwerkpartnern wirklich produktiv zu machen?

Das zentrale Merkmal von Wissensarbeit ist die Zusammenarbeit und Vernetzung über Abteilungsgrenzen hinweg.

Die Tücke liegt dabei im Detail, schließlich geht es auch darum, sehr bodenständige, praktische Fragen zu beantworten: Wo finden solche Teams rasch verfügbare und über längere Zeit hinweg reservierbare Projekträume im Büro? Wie schnell und reibungslos lassen sichgemeinsame IT-Infrastrukturen und gemeinsam nutzbare Wissensmanagement-Plattformen herstellen – oder muss der Datenaustausch weiterhin per E-Mail, USB-Stick oder Dropbox erfolgen?

Neben den organisatorischen Fragen sind Führungskräfte als Beziehungsmanager auch darin gefordert, in temporären Partnerschaften rasch die geeignete Betriebstemperatur herzustellen und zwischen den Teams zügig eine produktive Balance zwischen Offenheit und Abschottung zu erreichen. Denn die Qualität der Zusammenarbeit erschließt sich auch über das Maß, in dem wechselseitiges Vertrauen aufgebaut werden kann, Konkurrenzdenken zurückgedrängt wird und sich die Teams nicht an den Reibungsflächen unterschiedlicher Unternehmenskulturen abnützen.

Konsequenz: Wenn das Unternehmen grenzenlos(-er) wird, erstreckt sich auch der Gestaltungsspielraum für Führungskräfte weit über das eigene Unternehmen hinaus, und auch auf Menschen und Strukturen, über die sie eigentlich keine Verfügungsgewalt haben. Und immer öfter geht es um das Gestalten von Beziehungen, vor allem in ambivalenten Situationen.

Mittelmanagement: Creative Coaches

Auch der Blick auf die Entwicklung der Aufbauorganisation zeigt erodierende Strukturen: Auf das Zeitalter der pyramidenartigen Strukturen (hoch, schlank, zur Spitze hin dünner werdend) folgte die flachere Pyramide und schließlich die komplexe Matrixorganisation mit ihren mehrdimensionalen Org-Charts. Eine Entwicklung, die immer öfter mit kritischem Blick betrachtet wird.

Mittelmanagement ist keine Durchlaufposition auf dem Karriereweg, sonderneine hochqualifizierte Position mit neuem Anforderungsprofil.

Im Kern stellt sich dabei die Frage nach der Daseinsberechtigung des Mittelmanagements, vor allem wenn seine Rolle strukturbewahrend und kontrollierend ausgelegt ist. Schon immer war der mittlere Manager in seiner Sandwich-Position eine der herausforderndsten Positionen. Die dynamischen Organisationsstrukturen, vielfältigen und transparenten Kommunikationswege steigern diese Anforderungen nun noch mehr.

Damit wird klar: Mittelmanagement ist keine Durchlaufposition auf dem Karriereweg, sondern eine sehr spezifische und hochqualifizierte Position mit neuem Anforderungsprofil und neuer Rollendefinition. Sei es in Richtung Creative Management, mit der Hauptzielsetzung, den Innovationsgrad der Mitarbeiter zielgerichtet zu steigern, oder in Richtung Coach, um Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, ihre persönlichen Potenziale vollständig abzurufen. Zweifelsohne verliert das Mittelmanagement immer stärker die Rolle des konsolidierenden Organisators und Überwachers.

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