012020

Foto: Robert Nyman/Unsplash

Konzept

Verena Hammes

Einheit – Vielfalt – Spaltung in ökumenischer Perspektive

1 Einheit – Vielfalt – Spaltung – eine Spurensuche

Wenn man als ökumenische Theologin mit diesen drei Schlagworten, die einem fast genauso vertraut sind wie das eigene Wohnzimmer, unter einer doch sehr offenen Fragestellung konfrontiert wird, wandert der erste Blick nach Hilfe und Orientierung in die einschlägigen Lexika in der Hoffnung, dort auf prägnante, kurze und überblicksartige Artikel zu Wörtern zu stoßen, deren Beschäftigung in der ökumenischen Theologie sonst ganze Bibliotheksregale füllt.

Vier Lexika wurden daher zunächst zu Rate gezogen: Das Grundlagenlexikon der römisch-katholischen Kirche, das Lexikon für Theologie und Kirche (kurz LThK),1 die einschlägige 36-bändige Theologische Realenzyklopädie (kurz TRE), dann das schon etwas in die Jahre gekommene Ökumene-Lexikon von Krüger, Löser und Müller-Romheld2 sowie das im Auftrag des römisch-katholischen Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik im Jahr 2007 herausgegebene Lexikon der Ökumene und Konfessionskunde.3 Auffallend ist bei der Durchsicht dieser Lexika, dass die Wörter „Spaltung“ und „Vielfalt“ nicht vorkommen. Die TRE kennt auch das Stichwort „Einheit“ nicht, während die anderen drei Lexika Artikel zu Einheitsmodellen und den Grunddimensionen der Einheitsvorstellungen präsentieren.

Auffallend ist bei der Durchsicht dieser Lexika, dass die Wörter „Spaltung“ und „Vielfalt“ nicht vorkommen.

Unter ökumenischer Perspektive sind diese Begriffe zudem noch emotional besetzt. Während Einheit in vielen ökumenischen Gremien, in den institutionalisierten Formen der Zusammenarbeit und in der Fachliteratur zumeist das Ziel der ökumenischen Bewegung ist, sind sich darüber hinaus alle einig, dass Spaltungen im Gegensatz dazu dem Willen Christi selbst widersprechen, das Zeugnis der Kirche massiv schwächen und daher als Sünde zu klassifizieren sind. Vielfalt hingegen ist ein schillernder Begriff. Auf der einen Seite scheint er dem Einheitsgedanken entgegen zu stehen, auf der anderen Seite wird er gerade in der gegenwärtigen Zeit durchaus als erstrebenswerte Kategorie angesehen. Vielfalt ist ein Ausdruck der unterschiedlichen Charismen und wird zunehmend zur Leitmaxime der zivilgesellschaftlichen Entwicklung. In diesem Sinne werden die unterschiedlichen konfessionellen Ausprägungen, verschiedene Traditionen und Präferenzsetzungen in Glaubensdingen zunehmend als Schatz wahrgenommen, der, wenn er in einem Geist der Geschwisterlichkeit gehoben wird, zu einer gegenseitigen Bereicherung beitragen kann. Hier stellt sich dann aber doch wieder die bereits am Anfang der ökumenischen Bewegung stehende Frage, wo die Grenzen der Vielfalt sind, ohne die Einheit zu gefährden, und wie viel Einheit notwendig ist, ohne die unterschiedlichen Geistesgaben zurückdrängen zu müssen.

In einem ersten Schritt sollen daher die drei Begriffe Einheit, Vielfalt und Spaltung gemeinsam auf ihre biblischen und ökumenischen Grundlagen untersucht werden, bevor je ein Begriff gesondert betrachtet wird. Zum Schluss steht noch ein Fazit, das aufgrund der Breite der Thematik jedoch sicherlich nur einen Doppelpunkt darstellen kann.

2 Einheit – Vielfalt – Spaltung – biblische und ökumenische Grundlagen

Über die Trias von Einheit, Vielfalt und Spaltung kann man nicht nachdenken, ohne vorher die Heilige Schrift konsultiert zu haben, die für sich genommen schon eine einigende Funktion zwischen den unterschiedlichen Kirchen erfüllt. Für die ökumenische Bewegung, wie wir sie heute kennen, ist insbesondere das jesuanische Wort von der Einheit, das er kurz vor seinem Tod am Kreuz den Jüngern mit auf den Weg gibt, entscheidend: „Alle sollen eins sein. Wie du, Gott, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“ (Joh 17,21). Das „sollen“ markiert sehr deutlich einen Auftrag, es ist eben nicht nur ein Wunsch Christi, der in Erfüllung gehen kann oder eben nicht. Weiterhin hat die Einheit, wie Christus sie seinen Jüngerinnen und Jüngern aufträgt, ein Vorbild in seiner Beziehung zu Gott, in der Trinität. Die Dreieinigkeit Gottes als die höchste Form der Vereinigung und der Einheit ist damit das Leitbild für die Einheit unter den Christinnen und Christen. Weiterhin hat die Einheit der Jüngerinnen und Jünger auch eine Zielrichtung. Sie ist also nicht Zweck an sich selbst, sondern dient einem höheren Ziel: „damit die Welt glaubt“. Mission und Ökumene gehören von Anfang an untrennbar zusammen. Der Einheitsgedanke stärkt damit auch das gemeinsame Zeugnis in der Welt. Andererseits wird das Sendungsbewusstsein auch durch Spaltungen und Differenzen geschwächt. Damit bietet das Wort Jesu aus Joh 17,21 als soteriologisch-christologisches und missionarisches Wort ein „ökumenisches Vermächtnis“ und die Grundlage allen Strebens nach der Einheit. Und noch eine weitere Spannung enthält die Abschiedsrede Jesu: Die Einheit ist Gabe und Aufgabe zugleich. Gabe ist sie, weil sie von Gott geschenkt wird und damit zunächst dem menschlichen Zugriff entzogen ist. Zugleich ist dieser Gedanke aber kein Freibrief für das Nichtstun. Vielmehr ergibt sich daraus die eben benannte Aufgabe, nach Einheit in Lehre, Dienst und Zeugnis zu streben, um den Sendungsauftrag Jesu erfüllen zu können.

Die Einheit ist Gabe und Aufgabe zugleich.

Eine weitere zentrale Stelle der Heiligen Schrift für die Aufgabe der Einheit unter den Jüngerinnen und Jüngern Christi ist die Mahnung des Apostels Paulus: „Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens! Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung in eurer Berufung: ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist.“ (Eph 4,2-5) Einheit in Jesus Christus als sein Leib, als Volk Gottes und als Tempel des Heiligen Geistes sind demnach die Leitkategorien, die sich aus dem Zeugnis der Heiligen Schrift ergeben.

Doch widerspricht nicht die Realität der Gemeinschaften in ihrer Vielfalt, wie sie im Neuen Testament dargestellt wird, bereits diesen scheinbar eher theoretisch gedachten Vorstellungen von Einheit? War Einheit dann von vornherein eine Utopie, die bereits im Neuen Testament an den Realitäten scheiterte? So hat der evangelische Theologe Ernst Käsemann die stark rezipierte und diskutierte These aufgestellt, dass selbst im Neuen Testament, also gleichsam der Urform des christlichen Lebens, bereits vielfältige Formen des Kirche- und Gemeindeverständnisses anzutreffen seien.4 In der Tat kennt auch das Neue Testament die Unterscheidung zwischen eklesia tou theou (Kirche / Gemeinde Gottes im Singular) und ekklesiai (die Gemeinden im Plural), wobei ersteres die eine Kirche in Jesus Christus meint, letzteres hingegen die unterschiedlichen Ortsgemeinden bezeichnet. Dieser ekklesiologische Plural von Ortskirchen widerspricht nicht per se der Einheit der Kirche. Weitergedacht könnte man dahingehend aus dem Zeugnis der Heiligen Schrift ableiten, dass auch die unterschiedlich konfessionell geprägten Kirchen, wie sie in der Gegenwart vorkommen, nicht per se dem Einheitsgedanken der Kirche widersprechen. Entgegen der evangelischen Auffassung von Käsemann kann das Zeugnis des Neuen Testaments auch verstanden werden als „Ausdruck einer geschichtlich verständlichen Variabilität desselben, die ermöglicht und durchstimmt wird von dem Wirken des einen Geistes“5.

Wie ist aber dann Einheit zu verstehen und wo sind ihre Grenzen?

2.1 Einheit – genauer betrachtet

„Gott will die Einheit“6, so formulierte die erste Konferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Lausanne im Jahr 1927 das Ziel der neu entstandenen ökumenischen Bewegung und definierte damit zugleich eines der Wesensmerkmale, das die Zusammenarbeit zwischen den Kirchen bis heute prägt. Ziel aller ökumenischen Bemühungen ist die Einheit. Daher ist es nur folgerichtig, dass dem Begriff der „Einheit“ im letzten Jahrhundert besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, denn das unterschiedliche Verständnis, was Einheit sei bzw. wie man sie sich vorzustellen habe, führte bald zu Kontroversen, Konvergenzversuchen und bis heute teilweise uneinheitlichen Vorstellungen.

Einheit nicht nur ein Wesensmerkmal der neuen ökumenischen Bewegung, sondern von Anfang an Wesensmerkmal (nota ecclesiae) der Kirche Jesu Christ.

Dabei ist Einheit nicht nur ein Wesensmerkmal der neuen ökumenischen Bewegung, sondern von Anfang an Wesensmerkmal (nota ecclesiae) der Kirche Jesu Christi, wie sie im nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis beschrieben wird: Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität („wir glauben an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“). Die Notae ecclesiae sind aber nicht additiv zu verstehen, vielmehr bedingen sie einander. Die Einheit kann nur im Zusammenspiel mit den anderen drei Merkmalen gewährleistet sein. Die Kirche ist nur dann eine, wenn sie ihre Treue zum Ursprung der Überlieferung der Apostel wahrt (apostolisch), allumfassend und weltumspannend wirkt (katholisch) und sich in ihrem Wesen als von Gott gesandt versteht (heilig). Diese Kirche, von Jesus Christus gestiftet, ist bereits einig, heilig, katholisch und apostolisch. Daher hat sich die ökumenische Bewegung immer zum Ziel gesetzt, diese in Christus bereits geschenkte Einheit der Kirche sichtbar zu machen in der Welt und in ihren verfassten Strukturen, eine sichtbare Einheit in dieser Welt und nicht erst im Eschaton zu realisieren, „damit die Welt glaubt“. In diesem Sinne versteht sich auch der Ökumenische Rat der Kirchen, der 1948 in Amsterdam aus den beiden Bewegungen für Glauben und Kirchenverfassung und für Praktisches Christentum entstanden ist und der in seiner Verfassung als Ziel all seiner Bemühungen die sichtbare Einheit festhält.

Was ist unter Vielfalt zu verstehen und wo sind ihre Grenzen zu Einheit und Spaltung?

Wie dieses Ziel jedoch konkret aussieht, ist seit jeher Gegenstand vielfältiger ökumenischer Dialoge. Dementsprechend kennen die Forschungen des letzten Jahrhunderts auch verschiedene Modelle, die Einheit präziser zu fassen und damit Realität werden zu lassen. Diese reichen von organischer Union über die Leuenberger Konkordie bis hin zu dem heute vielfach proklamierten Modell einer Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Es würde sicherlich hier zu weit führen, alle Modelle auf ihre Praktikabilität und ihre Rezeptionsgeschichte zu untersuchen, zumal die Auffassungen auch innerhalb der christlichen Ökumene variieren.7

Bereits 1927 in Lausanne wurde neben dem starken Bekenntnis zur Einheit auch festgehalten: „[…] aber Einheit bedeutet nicht Gleichförmigkeit. Es muß Raum für verschiedene Typen der Gestaltung geben, vorausgesetzt, daß die Dinge, welche die Einheit in dem garantieren, was wesentlich ist, unangetastet bleiben.“8 Welches genau diese „Dinge“ sind, die Einheit garantieren, ist ebenfalls Gegenstand der Diskussion. In der Confessio Augustana werden als Merkmale die einträchtige und reine Verkündigung des Evangeliums und die schriftgemäße Spendung der Sakramente genannt.9 Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, daß das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. Die Enzyklika „Ut unum sint“ aus dem Jahr 1995, die in diesem Jahr also ihr 25jähriges Jubiläum feiert, hält als Einheitsmerkmale fest: „Es ist eine Einheit, die durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der hierarchischen Leitung und Gemeinschaft gebildet wird.“10 Eine Abstufung in der Relevanz der verschiedenen Merkmale für die Einheit kennt das römisch-katholische Lehramt seit der Beschreibung einer „Hierarchie der Wahrheiten“ durch das Ökumenismusdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils.11 Bereits in diesem kurzen Schlaglicht auf Wesensmerkmale der Einheit in den unterschiedlichen Konfessionen zeigen sich neben Konvergenzen auch Divergenzen, mit denen sich der ökumenische Dialog weiterhin intensiv auseinandersetzen und damit auch immer die Fragestellung mitbedenken wird: Was ist unter Vielfalt zu verstehen und wo sind ihre Grenzen zu Einheit und Spaltung?

2.2 Vielfalt – genauer betrachtet

Die Erklärung zur Einheit der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Busan 2013 hält fest: „Einheit der Kirche heißt nicht Einförmigkeit; auch Verschiedenheit ist eine Gabe, sie ist kreativ und spendet Leben. Aber die Verschiedenheit darf nicht so groß sein, dass die Menschen in Christus sich fremd oder zu Feinden werden und so der vereinenden Wirklichkeit des Lebens in Christus schaden.“12 Vielfalt bedeutet damit auch Reichtum und wird zunehmend als Schatz und als gegenseitige Bereicherung wahrgenommen. Dann ist das Ziel der Ökumene nicht mehr eine Reduktion auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern vielmehr ein Mehrungsprozess, in dem sich die eigene Tradition von den Schätzen der anderen an- und bereichern lässt. Keine Konfession hat die gesamte (katholische im eigentlichen Wortsinn) Heilswahrheit alleine, vielmehr wird durch die Betonung einer Ökumene der Gaben deutlich, dass auch Merkmale der wahren Kirche Christi in anderen Kirchen und Traditionen entdeckt werden können und auch müssen, um das ökumenische Vermächtnis Christi erfüllen zu können. Um wirklich die wahre Kirche Christi abbilden zu können, sind alle Kirchen gerufen, einander im Licht Christi zu sehen, umzukehren und damit gemeinsam die Katholizität abzubilden.

Vielfalt bedeutet damit auch Reichtum und wird zunehmend als Schatz und als gegenseitige Bereicherung wahrgenommen.

Die Grenzen der Vielfalt werden in der Ökumene umso heftiger diskutiert, je mehr der Lobpreis auf die Vielfalt auch im Christentum anhält. Ab wann beginnt Vielfalt zur Spaltung zu werden und damit dem Willen Christi zu widersprechen? Hier divergieren die Vorstellungen darüber, welche theologischen Einsichten zur Einheit notwendig sind und welche vielmehr Schritte auf dem Weg darstellen. Einigkeit besteht darüber, dass Einheit mehr ist als die bloße Addition der verschiedenen Kirchen, aber gleichzeitig keine Uniformität meint. Die Zwischentöne in diesem Spannungsfeld bleiben kontrovers.

2.3 Spaltung – genauer betrachtet

Alle sind sich einig, dass Spaltungen in der Kirche nicht nur Sünde waren, sondern im Gegenteil immer noch Sünde sind und bleiben, solange die Einheit der Kirche nicht hergestellt ist. Spaltungen im Verständnis der Aufkündigung der Kirchengemeinschaft mit einhergehendem Ausschluss von den Heilsmitteln der jeweiligen Tradition stehen im Widerspruch zu dem, was der Kirche durch Gott geschenkt wurde.

Wenn Kirchen einander das wahre Kirchesein absprechen, wenn sie sich voneinander abwenden und den jeweiligen Zugang verwehren, ist das ein schmerzhafter Schritt, dessen Heilung manchmal Jahrhunderte oder Jahrtausende braucht

In der aktuellen Situation sind die Bemühungen um Dialoge weiterhin spürbar,13 gleichzeitig trüben aber auch konkrete Beispiele drohender Spaltungen wie in der United Methodist Church oder in der orthodoxen Welt die Hoffnung auf weitere konkrete Schritte zur Einheit der Kirche. Spaltungen sind daher genauso an der Tagesordnung wie Einheitsbemühungen und keinesfalls ausschließlich Phänomene der Antike, des Mittelalters oder der Frühen Neuzeit. Wenn Kirchen einander das wahre Kirchesein absprechen, wenn sie sich voneinander abwenden und den jeweiligen Zugang verwehren, ist das ein schmerzhafter Schritt, dessen Heilung manchmal Jahrhunderte oder Jahrtausende braucht, damit die Wunden vernarben (nicht heilen!) können. Für die ökumenische Bewegung ist daher der Grundsatz der Versöhnung wichtig geworden, zu dem es bereits zahlreiche Beispiele gibt, wie die Aufhebung der Anathemata zwischen Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras (1967) oder der Versöhnungsakt zwischen dem Lutherischen Weltbund und der Mennonitischen Weltkonferenz (2010), um nur zwei zu nennen. Eine Heilung der Erinnerung mit Aufarbeitung der konfessionellen Gedächtnistraditionen und in der Zusage, dass Gott letztendlich seine versöhnende Hand ausstreckt, sind Wege, wie auch Spaltungen aus der neueren Zeit geheilt werden können.

3 Fazit

Einheit, Vielfalt und Spaltung – sie alle bedingen einander, sind miteinander verwoben, manchmal im Gegeneinander, manchmal in einem produktiven Miteinander. Letztlich bilden ihr Verständnis und ihre jeweilige Interpretation den Rahmen dessen, in dem die Ökumene sich seit jeher bewegt und auch in Zukunft bewegen wird. Daher war die Entdeckung zu Beginn hilfreich, dass viele einschlägige Lexika den Fokus auf den Begriff der „Einheit“ legen, zugleich aber die anderen beiden komplementären Gedankenstränge, die Vielfalt und Spaltung, nicht oder nur indirekt erwähnen – und damit in gewisser Weise defizitär über den ökumenischen Einheitsgedanken handeln.

Der Weg der Ökumene in Deutschland kann Vorbildcharakter haben für gesellschaftliche Transformationsprozesse, denen wir uns gerade angesichts der Covid-19-Situation in verschärftem Maße gegenübersehen.

Diese drei Schlüsselbegriffe zusammen zu denken, könnte ebenfalls fruchtbar im gesellschaftlichen Umfeld sein. Gerade die Kirchen in Deutschland haben einen Weg der Versöhnung hinter sich, der aber noch lange nicht abgeschlossen ist. Dennoch kann der Weg der Ökumene in Deutschland Vorbildcharakter haben für gesellschaftliche Transformationsprozesse, denen wir uns gerade angesichts der Covid-19-Situation in verschärftem Maße gegenübersehen. Es sind wichtige Grundpfeiler des gesellschaftlichen Zusammenhalts, stetig die Einheit trotz der Vielfalt zu wahren und immer wieder im Miteinander die Grundsätze und das Zusammenwirken auszuloten. Die Kirchen sind aufgerufen, mit ihrer Geschichte ein Vorbild dafür zu sein, wie es gelingen kann, den Reichtum der Vielfalt in dem Bewusstsein zu heben, dass jede Tradition Elemente der Kirche Jesu Christi enthält – darum wissend, dass dieser Versöhnungsprozess hin zu einer sichtbaren Einheit der Kirche angesichts der sich wandelnden Zeichen der Zeit nie ganz abgeschlossen sein wird.
  1. Vgl. Karl Kertelge/Sabine Pemsel-Maier/Ilona Riedel-Spangenberger/Ottmar Fuchs, Einheit der Kirche, I. biblisch-theologisch, II. systematisch-theologisch, III. kirchenrechtlich, VI. praktisch-theologisch, in: LThK 32009, Band 3, Sp. 544-550.
  2. Vgl. Harding Meyer, Einheit der Kirche I, Einigungsbestrebungen, in: Hanfried Krüger, Werner Löser, Walter Müller-Romheld (Hgg.), Ökumene-Lexikon. Kirchen – Religionen – Bewegungen, Frankfurt/Main 1983, Sp. 285-303.
  3. Vgl. Wolfgang Thönissen, Art. Einheit aller Christen, in: ders. (Hrsg.), Lexikon der Ökumene und Konfessionskunde, Freiburg i.Br. 2007, 297-298.
  4. Ernst Käsemann, Begründet der neutestamentliche Kanon die Einheit der Kirche?, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen. 2 Bände, Göttingen 1970, 214-223.
  5. Karl Kertelge, Art. Einheit der Kirche, in: Lexikon der Ökumene und Konfessionskunde, 298-303, hier 300.
  6. Die Berichte der Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung an die Kirchen. Amtlicher deutscher Text, I, in: Die Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung. Deutscher amtlicher Bericht über die Weltkirchenkonferenz zu Lausanne 3.-21. August 1927, im Auftrag des Fortsetzungsausschusses herausgegeben von Hermann Sasse, Berlin 1929, 530-549, hier: 531.
  7. Eine Übersicht bietet: Modelle kirchlicher Einheit. Dokumentation eines Studientages der ACK in Deutschland, Frankfurt 2013 mit Beiträgen aus evangelischer, römisch-katholischer, orthodoxer, baptistischer und pfingstlicher Sicht.
  8. Die Berichte der Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung an die Kirchen, 544.
  9. Vgl. „Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, daß das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden.“ (Das Augsburger Bekenntnis, Nr. 7, im Internet unter: https://www.ekd.de/Augsburger-Bekenntnis-Confessio-Augustana-13450.htm, abgerufen am 17.05.2020).
  10. Johannes Paul II., Ut unum sint. Über den Einsatz für die Ökumene, Nr. 9, im Internet unter: http://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/encyclicals/documents/hf_jp-ii_enc_25051995_ut-unum-sint.html (abgerufen am 17.05.2020).
  11. Beim Vergleich der Lehren miteinander soll man nicht vergessen, daß es eine Rangordnung oder ‚Hierarchie‘ der Wahrheiten innerhalb der katholischen Lehre gibt, je nach der verschiedenen Art ihres Zusammenhangs mit dem Fundament des christlichen Glaubens.“ (Dekret Unitatis redintegratio. Über den Ökumenismus, Nr. 11, im Internet unter: https://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_decree_19641121_unitatis-redintegratio_ge.html, abgerufen am 17.05.2020).
  12. Erklärung zur Einheit. Gottes Gabe und Ruf zur Einheit – und unser Engagement. Erklärung zur Einheit der 10. Vollversammlung des ÖRK vom 6. November 2013, Nr. 10, im Internet unter: https://www.oikoumene.org/de/resources/documents/assembly/2013-busan/adopted-documents-statements/unity-statement?set_language=de (abgerufen am 17.05.2020).
  13. Ein beeindruckendes Zeugnis dafür sind die mittlerweile vier Bände der Dokumente wachsender Übereinstimmung, die sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene bündeln (Band 1: 1931-1982, Band 2: 1982-1990, Band 3: 1990-2001, Band 4: 2001-2010).

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