022016

Foto: Molgreen - Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, Ausschnitt

Praxis

Gregor Hohberg

Das House of One – Religion, Architektur, Gesellschaft – ein Versuch

Wohin geht unsere unruhige, friedlose, durchkapitalisierte Welt, die uns täglich ihre Alternativlosigkeit predigt, während wir zugleich wissen, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann? Meldungen von Gewalttaten und Kriegen an so vielen Orten unserer Erde gelangen über die Medien direkt in unsere Wohnzimmer und berühren die Seele. Betroffen sind Menschen, mit Träumen und Gefühlen, wie wir, geboren, wie wir, geliebte Kinder Gottes, wie wir. All das geschieht weit weg und ganz nah, wird über die Medien vermittelt und begegnet uns in seinen Auswirkungen sehr direkt. Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, aus armen, ausgebeuteten Ländern kommen in unser Land, in unsere Städte und Gemeinden. Religionen, Lebensweisen werden zu Hassobjekten und zu Angriffszielen.

Pfarrer Gregor Hohberg, Rabbiner Dr. Andraes Nachama und Imam Kdair Sanci, © Klemens Renner.

Pfarrer Gregor Hohberg, Rabbiner Dr. Andraes Nachama und Imam Kdair Sanci, © Klemens Renner.

Was kann in diesen Zeiten die Welt retten? Was einem gelungenen Zusammenleben in der Stadt dienen? Kann es die Architektur? Rubin, der Altkommunist in Solschenizyns Roman „Der erste Kreis der Hölle“, glaubt: ja, wenn das Richtige gebaut wird. Er träumt vom Bau einer weltlichen Kathedrale, die das moralische Wertgefüge der Gesellschaft vor dem Auseinanderbrechen bewahrt, indem sie dem, was die Stadt im Innersten zusammenhält Raum gibt: dem Schweigen, dem zur Besinnung kommen, dem Fragen, dem Staunen, dem Miteinanderreden, der Sehnsucht nach Transzendenz, dem distanzierten Blick, dem öffentlichen Feiern und über allem ein Hauch von Größe und Ewigkeit. Die Architektur per se kann die Welt natürlich nicht retten und das Zusammenleben in der Stadt nicht sichern. Weder der umbaute Raum, die Architektur, noch der Stadtraum sind für das Wohl oder Wehe des städtischen Lebens verantwortlich.

Das gemeinsame Haus ist unser Ziel, denn etwas gemeinsam zu bauen und zu verantworten bietet einen Vielzahl von Beteiligungsmöglichkeiten unterschiedlichster Gruppen und Milieus, es erfordert eine hohe Verbindlichkeit im Umgang und ein stetig wachsendes Vertrauen, denn es steht für alle etwas auf dem Spiel.

Doch zeigen neuere soziologische Arbeiten deutlich, dass soziale Strukturen sich sehr wohl als räumliche niederschlagen und dass räumliche Strukturen in Form von Architektur bzw. im Stadtgefüge soziales Handeln prägen (Martina Löw). So gesehen kann die Architektur dann doch Raum geben, dem, was die Stadt rettet. Die Erde zu retten, den Himmel zu empfangen, die Göttlichen zu erwarten, die Sterblichen zu geleiten – das ist nach Martin Heidegger das Wesen des Wohnens. Dieser Wesenskern muss in all seinen Schattierungen in unseren Wohnorten, in unseren Städten erlebbar bleiben und Raum haben, auf das dort ein gutes Zusammenwohnen möglich ist. Religionen können und müssen dazu ihren Beitrag leisten.

Das gilt erst recht für unsere kleiner gewordene Welt. Wir nehmen im Alltag wahr, dass wir Menschen begegnen, die anders aussehen, die anderer Herkunft sind und anders glauben. Eine Welt voller Vielfalt. Unüberschaubar, faszinierend und unheimlich. Menschen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften, Überzeugungen und Lebensstile treffen aufeinander. Und all diesen Menschen, ja der ganzen Erde, gilt der biblisch verheißene Friede. Diese christliche Verheißung ist nicht beschränkt auf Christen, nicht auf Gemeinden und Kirchen – jede Vereinnahmung, jede Privatisierungstendenz wäre hier ein Raub an der Botschaft. Für Christen ist diese Verheißung zugleich Auftrag. Nun muss etwas getan werden mit dem, was vom Himmel aus geschehen ist.

Die Tatsache, dass Menschen um uns herum den christlichen Glauben nicht teilen und dass die Mehrheit der Bevölkerung in Berlin sich als nicht religiös versteht, mindert nicht deren Bedeutung für ein segensreiches Miteinander in unserem Land, in jedem Dorf und jeder Stadt. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch auf Gottes gutes Wort. „Ob Religion in Zukunft eine friedensstiftende Größe sein wird oder zur Potenzierung sozialer und kultureller Spannungen und Konflikte beiträgt, ist insbesondere für die Stadt eine wichtige Zukunftsfrage. Um des Zusammenlebens der Menschen verschiedener Religionen willen gibt es keine Alternative zu einem Dialog der Religionen…“1 Jede und jeder ist gehalten sich zu fragen: Was kann ich tun für ein friedvolles Miteinander? Wofür gibt mir meine Glaubensüberzeugung Kraft? Was kann zum Gelingen des Zusammenlebens in der Stadt beitragen? Was die Welt retten? Kann es die Architektur? Können es die Religionen?

Auf dem Petriplatz in Berlin Mitte soll das Bet- und Lehrhaus Berlin, das House of One, wie es inzwischen heißt, entstehen. Stadtgeschichtlich liegt hier eine der mittelalterlichen Geburtsstätten Berlins. Auf den Grundmauern der zerstörten und nicht mehr vorhandenen Petrikirchen soll ein neuartiger Sakralbau entstehen, unter dessen Dach die drei großen monotheistischen Religionen Erstbewohner sein werden: Judentum, Christentum und Islam. Jede Religionsgemeinschaft wird ihrer je eigenen Tradition folgend beten, unvermischt, in 3 getrennten Sakralräumen, in Synagoge, Kirche und Moschee. Und jede wird über ihren Glauben und seine Rituale Auskunft geben. Der Festkalender der 3 Religionen wird gepflegt werden, tägliche Andachten (jüdische, christliche und islamische Gebete und Liturgien) werden allen Besuchern offen stehen, Schulklassen werden an Projekttagen einen Einblick in die gelebte Welt der Religionen erhalten und gemeinsam werden wir behutsam nach neuen Formen des Miteinanders suchen.  In einem Haus wird sich das eigene und vertraute Glaubensleben in Sicht- und Rufweite zur eher unbekannten und vielleicht auch befremdlichen Glaubenspraxis der je Anderen entfalten. Die direkte Nachbarschaft wird den Blick weiten, Respekt voreinander und Verständnis füreinander wachsen lassen.

In einem Haus wird sich das eigene und vertraute Glaubensleben in Sicht- und Rufweite zur eher unbekannten und vielleicht auch befremdlichen Glaubenspraxis der je Anderen entfalten. Die direkte Nachbarschaft wird den Blick weiten, Respekt voreinander und Verständnis füreinander wachsen lassen.

Die drei Sakralräume im Haus gruppieren sich rund um einen gemeinsamen, zentralen Raum, den Lehrraum. In diesem Raum findet die Begegnung zwischen den Religionen statt, lernen wir voneinander und pflegen ein gutes Miteinander. Zugleich bildet dieser 4. Raum das Scharnier zur mehrheitlich säkularen Stadtgesellschaft. Gemeinsam laden die 3 Religionen hier auch die Menschen ein, die einem anderen oder keinem Glauben folgen, stellen sich allen Fragen und wünschen sich spannende, fruchtbringende Diskussionen. Der Dialog der Religionen muss an vielen Stellen geführt werden. Im Herzen Berlins, inmitten des kulturell-repräsentativen Erbes unseres Landes, unweit des Humboldtforums, findet er einen exponierten Ort, der von Anbeginn der Stadt geprägt ist durch die Anrufung Gottes. Der Dialog der Religionen untereinander und mit der Stadtgesellschaft an diesem Ort zielt nicht darauf, die jeweils eigene religiöse Prägung auf der Suche nach einem kleinsten gemeinsamen Nenner zu mildern oder gar aufzugeben. Vielmehr geht es darum, sie im Angesicht der anderen Religionen und zugleich auf der Agora der Stadtöffentlichkeit deutlich zu machen, und immer von Neuem die Erfahrung zu ermöglichen, dass die Begegnung mit Fremdem auch zu einer neuen und bereichernden Sicht auf das Eigene führt. Je mehr es gelingt diesen Lernprozess exemplarisch und zugleich repräsentativ im Zentrum der Stadt, in großer Offenheit und Öffentlichkeit zu vollziehen, je mehr wird Berlin an diesem seinem Urort Zukunft gewinnen und das Friedenspotential der Religionen zum Besten der Stadt erleben können.

Das gemeinsame Haus ist unser Ziel, denn etwas gemeinsam zu bauen und zu verantworten bietet einen Vielzahl von Beteiligungsmöglichkeiten unterschiedlichster Gruppen und Milieus, es erfordert eine hohe Verbindlichkeit im Umgang und ein stetig wachsendes Vertrauen, denn es steht für alle etwas auf dem Spiel. Etwas, das gemeinsam gefördert und geschützt werden will. Das House of One ist ein zeitgemäßer Versuch der Religionen dem Raum zu geben, was die Stadt retten kann. Raum geben in einem realen, baulich-manifesten und ebenso in einem virtuell-inhaltlichen Sinne. Denn der Prozess der Verständigung, hat schon längst begonnen und besitzt für uns, die Initiatoren des Projektes, eben so viel Gewicht wie das künftige Haus selbst. Schon jetzt sind wir gemeinsam auf dem Weg und beten Seite an Seite für den Frieden, diskutieren theologische Fragen, tragen eine positive Sicht der Religionen in die Gesellschaft und werden als hoffnungsvolles Zeichen von Anderen wahrgenommen.

Das House of one wird von der Stadt Berlin, von unserer Kirche, von unseren Religionspartnern, der Stiftung Zukunft Berlin und weiteren Spendern unterstützt. Wenn es Realität werden soll, dann braucht dieses Projekt auch ihre Unterstützung. Jede und jeder kann mitbauen am House of One und damit ein Zeichen dafür setzen, dass ein friedliches Miteinander der Religionen, von Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Glaubens, möglich ist. Jede kleine oder große Spende, jede Mitarbeit, jeder Hinweis, jedes Gebet sind willkommen.

… dass Frieden werde auf Erden, überall.

 

Kontakt:

www.house-of-one.org

  1. Wolfgang Puschmann: Stadtsuperintendent, Plädoyer für eine Kirche in der Stadt, Rede gehalten beim Stadtkirchentag am 10.10.2007, zitiert nach http://www2.kirche-hannover.de/media/492793c37c5bfac54912796ee64820e9.pdf

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