Buchrezension: Bart Sommer, Zusammen leben. Meine Rezepte gegen Kriminalität und Terror
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat unter dem Titel „Bart Sommer: Zusammen leben. Meine Rezepte gegen Kriminalität und Terror“ eine Sonderausgabe des Buches von Bart Sommer herausgegeben, dass im flämischen Original den Titel „Samen leben. Een hoopvolle strategie tegen IS“ trägt. Sommer stellt in diesem Buch die Grundüberlegungen dar, die seinem integrativen Ansatz zugrunde liegen. Er beschreibt, wie er die verschiedensten Milieus an einen Tisch versammelt und mit Ihnen Strategien des Zusammenleben der unterschiedlichen Gruppen entworfen hat. Für dieses Engagement als Bürgermeister wurde ihm 2016 der Preis World Mayor verliehen.
Einerseits ist sein Ansatz davon geprägt, den Rechtsstaat mit einer großen Entschiedenheit durchzusetzen. Videoüberwachung wurde ausgeweitet und der Druck auf Dealer, Hehler und Kleinkriminelle wuchs. Auf Kriminalität und Vandalismus wurde zeitnah reagiert. Viel wesentlicher aber für den Erfolg seiner Strategie waren Investitionen in die Sicherheit und Sauberkeit der Stadt verbunden mit wertschätzender Kommunikation, mit dem Werben für eine gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter und für bürgerschaftlichen Gemeinsinn – all dies nicht selten gegen religiösen oder weltanschaulich motivierten Widerstand. Mit verschiedenen Maßnahmen an Schulen sorgte er z.B. für eine soziale Durchmischung der einzelnen Bevölkerungsgruppen. Auch setzte er sich für strikte Antidiskriminierung und Gleichberechtigung ein.
Das Buch nimmt einen mit in ein hochaktuelles Thema auch der deutschen Gesellschaft. Wie kann Integration in einem Gemeinwesen angesichts pluraler Lebensstile, unterschiedlicher kultureller Prägungen und zahlreicher Nationalitäten gelingen? Sommer zeigt sich in seinen Gedanken als entschiedener Demokrat, der für eine offene und freie Gesellschaft engagiert. Ein weltanschaulich neutraler Staat muss für die Gleichwürdigkeit seiner Bürgerinnen und Bürger eintreten. „Alle Bürger müssen darauf vertrauen können, dass sie ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung und ihrer politischen und religiösen Präferenz gleich behandelt werden.“ (178f)
Das ein Zusammenleben in Diversität nicht einfach aber möglich ist, davon ist Sommer überzeugt. Es kann gelingen, wenn die Menschen im Gemeinwesen ein „Wir“ entwickeln und sich gegenseitig als „Schicksalsgefährten“ betrachten. Dieses gemeinsam „Wir“ kann sich entwickeln , wenn „wir die richtige Einstellung haben, eine des gegenseitigen Respektes voreinander, eine Offenheit des Geistes sowie eine Menge Empathie und Anteilnahme an den anderen unter Berücksichtigung ihrer Gefühle.“ (S. 149)
Die Ausführungen Sommers zeigen, wie konsequent er dies weiterdenkt und in praktisches kommunales Handeln überführt. Genau diesen gegenseitigen Respekt zu vermitteln, dass scheint Sommer über die Laufe der Jahre in Mechelen gelungen zu sein. Sommers Maßnahmen zeigen nachhaltige und überraschende Wirkungen bei Menschen, die sich bisher eher am Rande der Gesellschaft sahen. Sie nehmen ein echtes Interesse an ihrer Situation wahr und spüren, dass der Staat bzw. die Kommune ihre Lebenssituation nachhaltig verbessert. So überrascht es am Ende nicht, dass, anders als in anderen belgischen Städten, bisher keine Bewohner Mechelens bekannt sind, die sich dem IS angeschlossen haben.
Für christlich Interessierte Leserinnen und Leser sind die Ausführungen Sommers zum Verhältnis Staat und Religion besonders interessant. Sommer, der christlich geprägt aufgewachsen ist, bezeichnet sich selber als Atheist. Er steht für eine strikte Trennung von Staat und Religion und sieht den Staat als Garant der Grundwerte. Damit eine Gesellschaft funktioniert, so Sommer, braucht es „Toleranz, das Akzeptieren der Tatsache, dass Mitbürger eine andere Überzeugung haben. Das bedeutet vor allem, sich von der Idee zu verabschieden, es sei eine Verpflichtung, einem anderen die eigene Meinung aufzuzwingen.“ (S. 163 ) Dies bezieht Sommer nicht nur auf eine radikale, fundamentalistische Form des Islams, sondern ebenso auf Strömungen im Christentum. „Ohne weltanschauliche Toleranz kann eine offene Gesellschaft nicht funktionieren, sind Freiheit und Diversität unmöglich“(S. 164).
Damit stößt er bei den Kirchen eine zentrale Fragen an. Wie kann es gelingen, Teil der modernen Gesellschaft zu sein, und dennoch dem Sendungsauftrag Jesu gerecht zu werden. Schon vor Jahren sprachen die französischen Bischöfe davon, dass es heutige Aufgabe von Kirche sei, den Glauben in der Gesellschaft vorzuschlagen (Proposer la foi) bzw. anzubieten. Zu lernen, dass die Kirche nur ein „Anbieter“ auf dem modernen Markt der Religionen und der Sinnsuche ist, das ist nach wie vor eine noch nicht bewältigte Aufgabe für die Kirchen.
Bart Sommer:
Zusammen leben. Meine Rezepte gegen Kriminalität und Terror.
Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung,
Bonn 2018.