022019

Foto: Schub@: take a seat, read a book (CC BY-NC-SA 2.0)

Service & Dialog

Jan-Christoph Horn

Buchrezension: Stefan Kiechle SJ: Achtsam und wirksam. Führen aus dem Geist der Jesuiten.

1.

Wie gelingt Führung? Dazu gibt es kaum zählbare und vor allem immer wieder neue Experten, Literatur, Workshops und Trainings. Das bedeutet wohl vor allem: Die Frage ist nicht beantwortbar. Zumindest nicht auf den Punkt. Denn gleichwohl gibt es ja gelingende Führung – im Selbsterleben als Führungskraft und als geführte Person.

Die Vehemenz der Präsenz der Frage steht noch für etwas zweites: Gelingende Führung ist ein Anliegen. Einerseits aus Gründen wirtschaftlicher Wertschöpfung: Schlechte Führung ist auf kurz oder lang schlecht für das Unternehmen, die Organisation, das System. Hinzu kommt – allerdings nicht zwangsläufig – das Gespür dafür, dass man mit Führung Einfluss auf andere nimmt, Macht über sie gewinnt. Sowohl positiv (man spricht dann anerkennend von „Mitarbeiterführung“), als auch destruktiv (die Rede ist dann vom „Machtmissbrauch“).

2.

Gelingende Führung bewegt sich also auf einem schmalen Grad. Doch dieses Bild spricht von Gefahr und Risiko. Ein besseres Bild lautet: Führung findet in einem Raum statt. Wer diesen Raum wahrnimmt, durchschreitet, seine Wahrnehmungen unterscheidet und bewusste sowie reflektierte Entscheidungen trifft, bleibt selber auf einem Weg, auf dem er andere mitnehmen, anleiten, führen kann. So ein Mensch entwickelt Kraft – Führungskraft.

Führungskraft braucht also auch eine Führungspersönlichkeit – jemanden, der in Prozess, Raum und Weg geht, aber dabei „in Führung“ auch geschulte Wahrnehmung und klare Entschiedenheit einsetzt.

Führungskräfte erleben sich und erlebt man dabei als Person unterschiedlich: Manchen gelingt das auf Anhieb, andere müssen es erlernen, manche wollen es mehr als dass sie es können, andere probieren und probieren, ohne in die Kraft zu kommen. Führungskraft braucht also auch eine Führungspersönlichkeit – jemanden, der in Prozess, Raum und Weg geht, aber dabei „in Führung“ auch geschulte Wahrnehmung und klare Entschiedenheit einsetzt.

Der Jesuit Stefan Kiechle ist innerhalb seines Ordens eine solche Führungspersönlichkeit und hatte genug Gelegenheit, diese in Kraft zu bringen. Der Blick in seine Ordenslaufbahn spricht dafür, dass man dies schon früh erkannt und zu nutzen gewusst hat. Jetzt, in seiner dritten Berufsphase, legt er mit dem hier vorgestellten Buch eine Führungskonzeption vor, die frühere Bücher zu den Aspekten „sich Entscheiden“ und „Macht ausüben“ weiterführt.

Der zentrale und titelgebende Impuls lautet: Führung muss achtsam und wirksam gestaltet werden. Das sind Prozessworte, die uns etwas über Führungskraft (Wirksamkeit) und Führungspersönlichkeit (Achtsamkeit) sagen können. Das Buch schöpft dabei aus der ignatianischen Spiritualität – einer Prozessspiritualität –, der Geschichte des Jesuitenordens und den Erfahrung des Autors, die er immer wieder anbietet.

3.

Vorweg stellt Kiechle einige Perspektiven, mit denen auch der Fokus für das Folgende gesetzt wird: Führung ist gut und sie ist ein Gut, was am biblischen Bild des „guten Hirten“ illustriert wird. Hilfreich ist auch die Differenzierung zwischen Leitung („Manager“, technisch-administrative Funktion) und Führung („Leader“, visionär-wertegebende Funktion) – und dem Wissen der alltäglichen Durchmischung von beidem. Vision, Ziel und Mittel sind halt nicht identisch. Indifferenz als Erleben innerer Freiheit gehört für Kiechle deswegen nicht nur zu den Techniken oder Haltungen guter Führung, sondern zu einem Prinzip.

Führung kann etwas Dämonisches sein, muss aber nicht einsam machen; sie betrifft die ganze Person, aber kann den Menschen wachsen und reifen lassen.

Letztgenanntes führt Kiechle dann weiter aus, indem er die Ordnung der Person in den Blick nimmt. In seiner Haltung ganz ignatianisch – gaben- und ordnungsorientiert – und Humanpsychologisch geschult, charakterisiert er eine Führungspersönlichkeit

  • als jemanden, der sich achtsam seinen eigenen Verletzungen stellt, aber auch der eigenen „Täter“-Seite;
  • als jemanden, der die eigene Tiefenstruktur analysiert hat und dysfunktionalen Seiten etwas entgegensetzen kann – die Klarheit, den Hang von Führungspersönlichkeiten zu Narzissmus und Depressivität deutlich zu benennen, ist dabei bemerkenswert, zumal dies nicht Anklagend sondern sehr Einfühlend passiert -;
  • als jemand, der sich helfen lässt und letztlich für sich sorgt.

Führung, so steht es danach vor Augen, kann etwas Dämonisches sein, muss aber nicht einsam machen; sie betrifft die ganze Person, aber kann den Menschen wachsen und reifen lassen.

4.

Kiechle legt sodann wirkungsvolle Arbeitshinweise für eine Führungskraft aus: Vertrauen, Kommunikation, Motivation, Unterscheidung, prozessuales Denken, Zielvorgabe, Mittelbestimmung, Wertorientierung, strategisches Vorgehen und Netzwerkarbeit. Dies geschieht umfangreich und inhaltlich ein wenig erwartbar, doch nie im Sinne eines plumpen Ratgebers. Denn Kiechle liest sich gut, hat ein feines Gefühl für Bedeutungsinhalte, lotet die geistlich-spirituelle Bedeutung mit aus und die vielen konkreten Beispiele aus der Ordens- und eigenen Führungsgeschichte halten lebendig.

Herausgehoben seien die Hinweise

  • zur Beratung von Führungskräfte (was freilich auch mit dem Autor dieser Zeilen zu tun hat);
  • der Leadership-Reflexion, dass eigene Charisma und den Einsatz für das Schwache nicht der Leitungsfunktion unterzuordnen;
  • der stark formulierte Impuls, eine Führungsaufgabe bewußt anzutreten, in ihr bewußt aufzutreten und schließlich auch bewußt abzutreten.

5.

Die beiden folgenden Kapitel schließen das Buch ab, machen es aber auch „rund“.

Der erste Gedankengang richtet sich auf die „Arbeit in der Nacht“ – ein treffendes Bild für die beschwerlichen Seiten der Führung: Prügel ertragen, kämpfen, Ohnmacht annehmen. Kiechle setzt dem keineswegs platt, sondern im Zutrauen in die Möglichkeit der Reifung des Menschen durch einen (geistlichen) Weg entspringend, den positiven Impuls entgegen, durch diese Momente hindurchzugehen. Das Kreuz zu tragen und an den Tod zu denken ist dabei für manche Leser womöglich zu religiös konotiert, aber Kiechle bleibt hier konsequent ignatianisch. Im Grunde meint das ja auch nur: sich hineingeben, von sich absehen, weiterkommen, ankommen.

Wie jeder Mensch in seiner Lebenswirklichkeit ist auch die Führungskraft dazu aufgerufen, seinen Beitrag an der Errichtung dieser göttlichen Schöpfungsordnung zu tun.

Dem fügt sich der zweite Gedankengang an: die Ausrichtung der (Führungs-)Arbeit auf Gott, als dem „letzten Ding“, vor dem alles (be)stehen muss. Wer an dieser Stelle religiös-moralisches Tüddellü erwartet, liegt falsch. Kiechle setzt Bilder von leichtem, spielenden Vertrauen, dem Dirigat einer Wirklichkeit, die sich dem Schöpfer des Werkes verdankt, ihm Ehre zollt und doch im Augenblick neu und einmalig entsteht um in denen, die zuhören, etwas anzuregen – österlich, also in befreites und von Liebe erfülltes Leben hinein. Wie jeder Mensch in seiner Lebenswirklichkeit ist auch die Führungskraft dazu aufgerufen, seinen Beitrag an der Errichtung dieser göttlichen Schöpfungsordnung zu tun.

6.

Kiechles Buch ist ein Exerzitium, der Aufbau entspricht auch dem Weg der ignatianischen Exerzitien. Was Exerzitien sind? Ein Hinhalten vor den Wirklichkeiten, ein Ausrichten auf das je Größere hin, eine Rüstzeit für den Alltag. Wer sich auf die dahinterliegende christliche Grundhaltung und den davon angestoßenen Prozess einläßt, erhält von Stefan Kiechle wertvolle Hinweise für seine Arbeit an sich als Führungsperson und als Führungskraft. Allen anderen bleibt das Buch, vor allem zum Ende hin, vermutlich fremd.

Das Buch ist in Zeiten des Disputs um den Weg der Kirche im Heute der Zeit auch ein beachtenswertes Statement für eine bestimmte Kirchenkultur.

Doch das ist in den Exerzitien ja genauso: den persönlichkeitsstärkenden Übungen der ersten und zweiten Woche folgt man gern und enthusiastisch, die beiden Wochen der Kreuzesnachfolge und Lebenshingabe verstören mitunter. Diese im Blick auf Führung zu reflektieren (Schwierigkeiten in Führung und Österlichkeit von Führung) ist fremd-, aber auch neuartig. Es liegt am Leser, ob er an dieser Stelle ins Ungefähre abschweift oder Kiechles Gedankenangebote konsequent auf die eigene Praxis überträgt. Das geht vermutlich besser im Austausch mit anderen als im Lesestübchen für sich.

Das Buch ist in Zeiten des Disputs um den Weg der Kirche im Heute der Zeit auch ein beachtenswertes Statement für eine bestimmte Kirchenkultur. Wer dieser Kultur folgt, wird anders über Motive, Rollen, Macht, Eigenanteile und Prozesse denken und handeln – auch innerhalb der Kirche. Dem sei Achtsamkeit und Wirksamkeit gewünscht.

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